Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat - Die SPD überrascht sich selbst
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Berlin.. Früher als geplant ist das Duell gegen die CDU-Kanzlerin Angela Merkel eröffnet. Peer Steinbrück spielt auf Sieg, die Parteilinke mosert schon. Heute hat er beim SPD-Parteitag in Münster seinen ersten großen Auftritt.
Peer Steinbrück wirkt immer noch überrascht. Eigentlich ist er der wichtigste Mann hier, eben offiziell als Kanzlerkandidat vorgeschlagen von Parteichef Sigmar Gabriel. Aber von diesem Auftritt in der Parteizentrale hat Steinbrück erst ein paar Stunden vorher erfahren. Routiniert sagt er jetzt Sachen wie „wir wollen die Regierung ablösen“ oder „ich kämpfe für Rot-Grün“.
Doch Genaueres will Steinbrück erst am Montag verkünden. Dann wird der SPD-Vorstand auch in höchster Eile ein endgültiges Rentenkonzept beschließen. Das war bis eben für November geplant, genauso wie Steinbrücks Kür. Am Freitag sagt Parteichef Gabriel lakonisch: „Manchmal ist das Leben so“. Sturzgeburt einer Kanzlerkandidatur.
Einer aus dem Kreis hatte in Berlin geplaudert und Andeutungen gemacht, die bestätigten, was bisher nur spekuliert wurde: Steinbrück macht es. Wenige Stunden später sickert das Freitag morgen durch, und Gabriel hat angesichts der Quelle keine Wahl, als bei einer eiligen Telefonkonferenz des SPD-Vorstands die Karten offenzulegen.
Steinmeier-Absage aus „rein persönlichen Gründen“
Später beim Presseauftritt der Troika schildert Gabriel die Geschichte nun so: Er habe für sich bereits im Frühjahr 2011 eine Kandidatur ausgeschlossen, Steinbrück und Fraktionschef Steinmeier informiert. Vor der Sommerpause, sagt Gabriel, habe er dann beide gebeten, nach der Sommerpause zu erklären, ob sie bereitstünden.
Steinmeier, der Favorit einer Parteimehrheit war, sagte vor wenigen Wochen Nein. Steinbrück sagte Ja. Damit war die Sache intern klar.
Nach Angaben aus Parteikreisen hatte sich Steinmeier lange mit der Frage herumgeplagt. Hatte sich im Südtirol-Urlaub mit seiner Frau beraten und dann gegen die Kandidatur entschieden. Es handele sich um „rein persönliche Gründe“, betont er gestern, offenbar spielt die Nierenerkrankung seiner Frau eine Rolle.
Planung bis November hat sich erledigt
Vor zwei Wochen hat sich Gabriel dann mit Steinbrück abgesprochen: Erst das Rentenkonzept, Kandidatenvorschlag am 24. November, Sonderparteitag am 9. Dezember in Hannover. Aber dann drängte die Partei, ein SPD-Zukunftskongress vor zwei Wochen wurde durch die Kandidatendebatte überlagert. Und selbst in der Troika wuchsen Zweifel, ob weiteres Hinhalten nicht die Glaubwürdigkeit beschädige. Am Ende verliert jemand die Geduld.
Steinbrück sagt nun: „Es wird so vertrauensvoll weitergehen wie bisher.“ Doch schon in der internen Telefonkonferenz macht er Ansprüche geltend: „Das Programm muss zum Kandidaten passen und der Kandidat zum Programm“. In größter Hektik wird nun übers Wochenende ein Rentenkompromiss gebastelt, den am Montag der Parteivorstand beschließen soll, bevor er Steinbrück offiziell nominiert.
Erste Kritik aus der SPD-Linken
Aus der SPD-Linken, die Steinmeier favorisiert hatte, kommt deshalb schon Kritik. Das zeigt die Herausforderungen, vor denen die Partei nun steht. Der 65jährige Steinbrück hat in der Troika die Kandidatur am leidenschaftlichsten verfolgt - und hatte dabei frühzeitig die Unterstützung von Parteiprominenten wie Helmut Schmidt („er kann es“) oder Gerhard Schröder erhalten, aber nicht durchweg aus der SPD.
Empfohlen hat sich Steinbrück aus Sicht seiner Unterstützer vor allem durch die Art, wie er als Finanzminister der Großen Koalition in der Finanzkrise 2008 agierte. Erst zögernd, dann umso entschlossener setzte er sich für eine Regulierung der Finanzmärkte ein und sorgte mit dafür, dass der Krise ein Konjunkturprogramm entgegengesetzt wurde; legendär ist der Auftritt zusammen mit Merkel, bei dem die Regierung eine Garantie für die Sparguthaben der Deutschen aussprach.
Keine Lust auf ein Ministeramt unter Merkel
Daran will Steinbrück jetzt anknüpfen und Merkel an ihrer empfindlichsten Stelle, dem Euro-Krisenmanagement, angreifen. Er verspricht bereits klare Kante: „Peer Steinbrück wird nie wieder in einem Kabinett von Frau Merkel zu finden sein.“
Meinungsforscher sind sicher, dass Steinbrück unter den SPD-Politikern am besten die Wähler in der bürgerlichen Mitte erreicht. Indes: Im direkten Vergleich mit Merkel hat auch Steinbrück ein Problem, nur 36 Prozent der Befragten würden laut ZDF-Politbarometer ihn als Regierungschef bevorzugen, 53 Prozent stehen hinter Merkel. Die Kanzlerin gab sich deshalb gestern demonstrativ gelassen.
Der Makel: eine verlorene Landtagswahl
Ohnehin trägt Steinbrück die Last einer verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005: „Das war eine Niederlage für mich, aber keine traumatische Erfahrung“, sagte der frühere Ministerpräsident gestern. Eine Wechselstimmung habe es gegeben, Rot-Grün sei nicht attraktiv erschienen. Der Düsseldorfer CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann lästert aber schon: „Steinbrücks Name ist untrennbar mit der Wahlniederlage der SPD in NRW verbunden.“
Besuch von Peer Steinbrück
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Sein größtes Problem aber ist wohl die eigene Partei: Viele Genossen haben nicht vergessen, wie sich Steinbrück als besonders entschlossener Reformpolitiker gerierte und etwa Kritiker der Agenda 2010 als „Heulsusen“ beschimpfte. Juso-Chef Sascha Vogt kritisierte gestern, die vorgezogene Nominierung sei „ärgerlich“, nicht wieder dürfe ein Kandidat der Partei seine Inhalte aufzwingen. So wie Gerhard Schröder.
Erster großer Auftritt beim SPD-Parteitag in Münster
Auch Rudolf Malzahn, der Vorsitzende der SPD Bochum-Hamme und einst Mitinitiator des Ausschlussverfahrens gegen Wolfgang Clement, gefällt der Kandidat Steinbrück nicht recht. „Peer Steinbrück soll nicht denken, er könne wie Gerhard Schröder von oben nach unten regieren. Er muss sich an der Parteibasis orientieren“, sagte Malzahn auf Anfrage der Redaktion. Steinbrück sei „eher einer, der die Mittelschicht anspricht und die kleinen Leute vergisst. Wenn er so weitermacht, kann er die Arbeitnehmerschaft in der SPD abschreiben.“
Wie die NRW-Basis Steinbrück sieht, könnte sich schon an diesem Samstag in Münster zeigen. Dort sollte beim Parteitag der NRW-SPD eigentlich die Wiederwahl der Landesvorsitzenden Hannelore Kraft im Mittelpunkt stehen. In aller Eile wurde die Tagesordnung umgestellt, nun hat der Kandidat dort kurzfristig seinen ersten Auftritt. Kühl hatte er bereits gestern angekündigt, er wolle sich im Wahlkampf „ein Vorbild an Gerhard Schröder“ nehmen.
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