Berlin. . Deutschlands Reiche werden noch reicher. Die Opposition verlangt eine Vermögensteuer, doch die Arbeitsministerin will lieber ihre eigenen Projekte vorantreiben.

Deutschland ist ein reiches Land: Die privaten Vermögen haben sich innerhalb von 20 Jahren mehr als verdoppelt, im Durchschnitt besitzt jeder Haushalt 118 000 Euro. Wohneigentum vor allem, Geldanlagen, andere Immobilien, Betriebsrentenansprüche.

Leider ist Deutschland auch ein Land der wachsenden Ungleichheit, deswegen ist die Zahl wenig aussagekräftig. Denn die obersten zehn Prozent der Haushalte besitzen von dem 10-Billionen-Reichtum inzwischen stolze 5,3 Billionen Euro – die „unteren“ 50 Prozent der Deutschen kommen dagegen zusammen auf gerade einmal etwa 120 Milliarden Euro. Ein gutes Hundertstel des gesamten Kuchens für die Hälfte der Bürger, die Hälfte des Kuchens für ein Zehntel. Und die Kluft ist größer geworden, 1998 besaßen die Reichsten 44,7 Prozent des Vermögens, die ärmere Hälfte dagegen immerhin noch 3,7 Prozent.

Politischer Sprengstoff

Die Daten entstammen dem Entwurf eines Armuts- und Reichtumsberichts, den das Bundesarbeitsministerium alle vier Jahre vorlegen muss. Er ist noch nicht veröffentlicht, kommt erst im November ins Kabinett, der WAZ liegt er vor.

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Die Zahlen sind für Fachleute nicht völlig überraschend und auch Folge früherer Steuerpolitik, gesellschaftspolitischen Sprengstoff bieten sie gleichwohl: In dem Regierungsdokument ist nicht nur von einer „sehr ungleichen Verteilung der Privatvermögen“ die Rede, verwiesen wird auch auf die zwiespältige Einkommensentwicklung.

Die unteren 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten mussten zwischen 2000 und 2010 real Einkommenseinbußen hinnehmen, während die Entwicklung am oberen Ende besonders günstig war. Aber während das Privatvermögen steigt, ist das Staatsvermögen in den vergangenen zwei Jahrzehnten um über 800 Milliarden Euro gesunken. In der Finanzkrise sei es zu einer Verschiebung privater Forderungen und Verbindlichkeiten in staatliche Bilanzen gekommen, heißt es lapidar.

„Gesellschaftlicher Skandal“

Opposition, Sozialverbände und Gewerkschaften reagieren empört, sie sehen sich in früheren Warnungen bestätigt und fordern nun erneut höhere Steuern für Spitzenverdiener, die Einführung einer Vermögensbesteuerung. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß: „So würde sich die finanzielle Situation des Staates verbessern und gleichzeitig könnte das Auseinanderdriften der Gesellschaft bei den Vermögenden zumindest gestoppt werden.“ Linken-Geschäftsführer Matthias Höhn spricht von einem „gesellschaftlichen Skandal“.

Die FDP argumentiert anders herum: Die soziale Ungerechtigkeit steige wegen der höheren Steuerlast für die Beschäftigten – deshalb sei eine Steuersenkung für Arbeitnehmer sinnvoll, mahnt ihr Finanzexperte Volker Wissing.

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Arbeitsministerin Ursula von der Leyen dagegen benutzt ihren eigenen Berichtsentwurf, um ihre umstrittenen Vorschläge für eine Zuschussrente zu untermauern und für ihr Mindestlohn-Konzept zu werben, das in den Koalitions-Schubladen schmort.

„Die hohen Einkommen haben mehr profitiert als die mittleren“, konstatiert die CDU-Politikerin gestern. Doch Menschen mit kleinen Einkommen müssten „die Chancen haben, aufzusteigen und Besitz zu erarbeiten“. Dies sei „das Versprechen der sozialen Marktwirtschaft“. Auch wenn die Ministerin pflichtgemäß zugleich die positiven Daten etwa zum Arbeitsmarkt erwähnt und meint, Deutschland gehe es insgesamt besser, reagieren Koalitionspolitiker intern verärgert.

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen macht von der Leyen mit hässlichen Zahlen auf Verteilungsprobleme aufmerksam. Allerdings warnt sie Schwarz-Gelb - wie bei der Rente - so auch vor einem drohenden Wahlkampfstreit. Die SPD kündigt bereits an, sie werde die wachsende Armut im Wahlkampf thematisieren.