Berlin. Der ehemalige Verteidigungsminister erhebt im Interview schwere Vorwürfe gegen die deutsche Afghanistan-Politik. Den für 2014 geplanten Abzug aus Afghanistan hält er für falsch - wenn auch alternativlos. Der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung hegt zudem Zweifel an der direkten Demokratie und gab eine Studie zu Nicht-Wählern in Auftrag.

Er ist schnörkellos, ruppig, aber herzlich, BVB-Fan, Motorrad-Fan, ein gewisses Showtalent kann man ihm auch nicht absprechen. Die Rede ist von Peter Struck, ein Charakterkopf der SPD, seit einem halben Jahrhundert in der Partei, für die er 29 Jahre lang im Bundestag saß. Zwei Mal führte er ihre Fraktion, zwischen 2002 und 2005 war er Verteidigungsminister. Inzwischen steht der 69-Jährige der Friedrich-Ebert-Stiftung vor. Im Dezember will er für weitere zwei Jahre kandidieren. Die WAZ Mediengruppe sprach mit ihm über sein Leben im politischen (Un)Ruhestand, die Arbeit der Stiftung, die SPD und über die Bundeswehr, die ihn weiter umtreibt.

Herr Struck, vor ein paar Tagen stieß ich auf ein Interview mit Ihnen vom Juni 2009. Dazu ließen Sie sich in voller Motorradmontur fotografieren. Die Überschrift: „Ich habe genug“. Man hätte meinen können, jetzt kommt seine „Easy-Rider“-Phase. Dafür sind Sie aber nahe an der Politik geblieben.

Peter Struck: Stimmt. Wobei: Es ist schon so, dass ich meinen Hobbys frönen kann. Ich fahre viel Motorrad, kümmere mich um meine acht Enkelkinder. Aber ich habe auch gemerkt: Ich kann nicht von 150 Prozent auf Null runterfahren. Ich muss was tun.

Ist die Friedrich-Ebert-Stiftung der verlängerte Arm der SPD?

Struck: Nein, das dürfen wir gar nicht sein. Wir werden aus Steuergeldern finanziert, 130 Millionen Euro im Jahr, fast nur Zuschüsse der Regierung. Außerdem gibt es ein Urteil, das den Stiftungen die direkte Parteiarbeit untersagt. Natürlich stehen wir der SPD nahe, so wie die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU. Aber wir helfen nicht im Wahlkampf.

Wie fällt der Blick auf Ihre Partei aus?

Struck: Als ich 1998 Fraktionschef wurde, hatten wir 298 Abgeordnete im Bundestag, jetzt 146, die Hälfte. Das ist ein Bild, das mich deprimiert.

Warum ist der Aufholprozess mühsam?

Struck: Die Kanzlerin überlagert alles. Das war immer so. In der Position ist man auf allen Kanälen. Außerdem ist die wirtschaftliche Lage gut. Es fehlt ein polarisierendes Thema. In der Euro-Krise haben wir der Regierung sogar geholfen. Die Leute fragen: Worin unterscheidet ihr euch? Merkel hat vieles weggeräumt. Denken Sie an den Atomausstieg - und schon wieder ein „Kampfthema“ weniger.

Über Merkel haben Sie mal gesagt, „bei ihr weiß ich nicht, wofür sie steht. Daran wird sie irgendwann auch scheitern“. Nur, wann?

Struck: Ich hoffe 2013. Ich glaube schon, dass die Menschen von ihr irgendwann wissen wollen, wohin die Reise gehen soll.

„Die K-Frage stellt sich immer drängender“

Die Ernennung des Kanzlerkandidaten ist in der SPD ein Thema für sich. Die K-Frage. K steht für Krampf?

Struck: Es war nicht immer umstritten. Denken Sie an die Zeit von Willy Brandt. Willy durfte zweimal verlieren, bevor er Kanzler wurde. Es ist halt so: Wenn man drei geeignete Leute hat, muss man mit der Situation umgehen. Ich sehe aber, dass wir das relativ schnell entscheiden müssen, weil die Frage immer drängender gestellt wird. Und nicht nur von Journalisten.

Sind die Grünen mit der Urwahl ihrer Spitzenkandidaten ein Vorbild?

Struck: Nein. Der SPD-Chef hat das erste Wort. Das finde ich ein gutes Prinzip. Zu den Grünen nur so viel: Wie der Jürgen Trittin die Finanz- und Außenpolitik vertritt - Respekt.

Wäre eine Urwahl wie bei den Grünen nicht eine Option? Ist die direkte Demokratie das Gebot der Stunde?

Struck: Wir haben gerade unseren Preis für ein politisches Buch an Collin Crowell vergeben, der uns genau das empfiehlt, um die Demokratie wiederzubeleben. Mir sagen aber andere Wissenschaftler, dass bei Bürgerentscheidungen und - befragungen die bildungsfernen Schichten am Wegesrand bleiben. Nehmen Sie „Stuttgart 21“ oder das Schulreferendum in Hamburg - Protest, der von Akademikern getragen wurde. Ich habe noch keine Antworten. Aber wir haben eine Umfrage bei früheren Wählern in Auftrag gegeben. Ich bin selber gespannt darauf zu erfahren, warum jemand zum Nicht-Wähler wird.

„Die Untaten des NSU haben mich geschockt“

Gibt es etwas, was auch einen Peter Struck noch erschüttert?

Struck: Die Euro-Krise. Wir haben früher im Parlament um Millionen gestritten, mal um eine Milliarde. Jetzt geht es um hunderte von Milliarden, Billionen. Auch die Untaten des NSU haben mich geschockt, vor allem die Unfähigkeit der Behörden. Ich war indirekt involviert - die Polizei fand meinen Namen auf einer Liste der Terroristen.

Da haben Sie sich bestätigt gefühlt, Sie waren ja immer für ein NPD-Verbot.

Struck: Ich bin es immer noch. Wir werden Ende des Jahres wieder eine Studie zum Rechtsextremismus veröffentlichen. Man hat es lange für ein Phänomen im Osten gehalten. Falsch, der Westen ist genauso betroffen. Erschreckend ist auch die hohe Zahl von Menschen, die insgeheim sympathisieren.

„Ich halte die Entscheidung für den Afghanistan-Abzug für falsch“

Ihre große Furcht, haben Sie mal gesagt, sei, dass die Bundeswehr den Einsatz in Afghanistan nicht anständig zu Ende bringen könne. Haben Ihre Nachfolger sie Ihnen genommen?

Struck: Ich muss freimütig bekennen, dass ich die Entscheidung für den Abzug im Jahr 2014 für falsch halte. Wir haben die Uhr, die Taliban haben die Zeit. Ich weiß natürlich, dass wir keine andere Wahl hatten. Der US-Präsident Barack Obama hat Fakten geschaffen. Da ziehen alle anderen auch ab. Nur: Keiner weiß, wer nach Karsai kommen wird. Es fehlt auch der Beleg für einen Erfolg gegen Drogen und Korruption.

Wenn das in den letzten zehn Jahren nicht gelungen ist, warum sollte es in den nächsten zehn Jahren gelingen?

Struck: Der entscheidende Punkt ist für mich: Die Bevölkerung muss Vertrauen in die politische Entwicklung haben und nicht wieder Rückhalt bei den Taliban suchen. Für mich ist der Satz einer Professorin entscheidend gewesen, die zu Talibanzeiten im Kerker saß. Sie sagte zu uns in der SPD-Fraktion: „Ihr dürft uns nicht alleine lassen.“

Ihr Amtsnachfolger de Maizière wünscht sich mehr Anerkennung für die Bundeswehr. Kommt es Ihnen bekannt vor?

Struck: Ich werde noch heute von Soldaten angesprochen, wenn sie mich zum Beispiel im Zug sehen. Sie beklagen sich, dass ihr Engagement in Afghanistan nicht gewürdigt wird.

Geht es den Polizisten besser? Oder der Feuerwehr? Ist die Bundeswehr nicht schlicht zu empfindlich?

Struck: Mag sein. Man muss trotzdem Verständnis haben. Der Einsatz in Afghanistan ist für die Bundeswehr eine Situation, die sie nie zuvor erlebt hatte. Es ist schon bitter, wenn einer unter Einsatz seines Lebens in Kundus Patrouille fährt und nach der Rückkehr sagen sie ihm daheim im Sportverein oder in der Kneipe: „ist alles Unsinn.“