Das syrische Flüchtlingsdrama erreicht eine neue Dimension: Vor der eskalierenden Gewalt zwischen Rebellen und den Truppen von Präsident Baschar Assad sind im August so viele Menschen geflohen wie noch nie seit Beginn des Konflikts. 100.000 Menschen hätten aus Angst vor der Gewalt das Land verlassen, erklärte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) am Dienstag in Genf.
Genf/Beirut (dapd). Das syrische Flüchtlingsdrama erreicht eine neue Dimension: Vor der eskalierenden Gewalt zwischen Rebellen und den Truppen von Präsident Baschar Assad sind im August so viele Menschen geflohen wie noch nie seit Beginn des Konflikts. 100.000 Menschen hätten aus Angst vor der Gewalt das Land verlassen, erklärte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) am Dienstag in Genf. Dies seien mehr Flüchtlinge als in jedem anderen Monat seit Beginn des Aufstands. Unterdessen meldeten die Aufständische massive Geländegewinne in der syrischen Millionenmetropole Aleppo.
In Damaskus kam derweil der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) mit dem syrischen Präsidenten zusammen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) drang angesichts der zunehmend düsteren Lage auf schnelle Hilfe für die syrische Bevölkerung. "Wir müssen jetzt handeln", forderte er zum Auftakt einer internationalen Tagung zum wirtschaftlichen Aufbau Syriens in Berlin.
Die Vereinten Nationen zeigte sich derweil alarmiert: Die Zahl der offiziell registrierten oder noch zu erfassenden Flüchtlinge sei auf insgesamt 234.368 gestiegen, sagte UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming vor Journalisten. Das UNHCR und der Syrische Rote Halbmond wollen ihre Hilfe zur Unterstützung Vertriebener weiter ausbauen. Beide Organisationen forderten die Staatengemeinschaft auf, Asyl suchende Syrer aufzunehmen. Derzeit befinden sich mehr als 80.000 syrische Flüchtlinge in der Türkei, gleichzeitig warteten rund 8.000 Menschen auf der syrischen Seite auf ihre Einreise, sagte Fleming. Mehr als 77.000 Menschen hat auch das Nachbarland Jordanien aufgenommen, während laut UN mehr als 59.000 im Libanon und fast 18.700 im Irak Unterschlupf gefunden haben.
Auch Welternährungsprogramm will Arbeit ausweiten
Ausweiten will auch das Welternährungsprogramm der UN seine Arbeit, wie Sprecherin Elisabeth Byrs in Genf mitteilte. Allein in diesem Monat benötigten 1,5 Millionen Menschen dringend Nahrungsmittel. Betroffen seien vor allem Gebiete, in denen Kämpfen getobt hätten und Menschen zumindest vorübergehend obdachlos geworden seien.
In der syrischen Hauptstadt Damaskus traf derweil IKRK-Präsident Peter Maurer mit dem syrischen Präsidenten Assad zusammen. IKRK-Sprecherin Rabab al Rafai erklärte, das Treffen habe am Dienstag stattgefunden. Einzelheiten zu dem Gespräch nannte sie nicht.
Allerdings zitiert die amtliche Nachrichtenagentur SANA Assad mit der Aussage, das IKRK sei so lange auf syrischem Boden willkommen, so lange es "neutral und unabhängig" bleibe. Maurer sei später auch mit dem stellvertretenden Außenminister Fajsal Mekdad getroffen, sagte al Rafai. Zudem habe es Gespräche mit dem Vorsitzenden des Syrischen Roten Halbmonds gegeben.
Maurer reiste am Montag zu einem dreitägigen Besuch nach Syrien. Die Organisation erklärte, Maurer wolle die "sich rasch verschlechternde humanitäre Lage" ansprechen. Außerdem solle es darum gehen, dass das Rote Kreuz und der Rote Halbmond die betroffenen Zivilisten nur schwer erreichen könnten.
Westerwelle mahnt rasches Handeln an
Bundesaußenminister Westerwelle mahnte angesichts der dramatischen Lage der Syrer rasches Handeln an: "Wir müssen alles Mögliche unternehmen, um einen Kollaps der Infrastruktur und der Grundversorgung zu vermeiden", sagte er am Dienstag in Berlin. In Gebieten, die unter Kontrolle der Rebellen stünden, könne schon jetzt geholfen werden. Die internationale Gemeinschaft müsse sich zudem auf schnelle Hilfe für die Zeit nach dem Sturz des Assad-Regimes vorbereiten.
In Berlin tagten am Dienstag rund 60 Regierungsdelegationen aus aller Welt zusammen mit syrischen Oppositionellen. Sie gehören zur Arbeitsgruppe "Wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung", die Teil der "Freundesgruppe des syrischen Volkes" ist.
Menschenrechtsaktivisten hatten bereits zuvor erklärt, der August sei der blutigste Monat in dem seit nunmehr über 17 Monate andauernden Syrien-Konflikt gewesen. Die Aktivisten sprachen von etwa 5.000 Toten. Diese Zahl beträgt mehr als das Dreifache des Monatsdurchschnitts an Todesopfern. Allein in der vergangenen Woche wurden nach Angaben des Kinderhilfswerks UNICEF 1.600 Menschen getötet, so viele wie noch nie seit Beginn des Aufstands.
Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und die Örtlichen Koordinationskomitees gaben die Gesamtzahl der Toten mit 23.000 bis 26.000 an.
Neue Kämpfe
Im Kampf um die Wirtschaftsmetropole Aleppo meldeten die Rebellen derweil massive Geländegewinne. Die Aufständischen hätten nun den Großteil der größten syrischen Stadt in ihre Gewalt gebracht, sagte Abdul Kadir Saleh, Kommandeur der Tauhid-Brigade, die die Offensive in Aleppo anführt. "Das Regime kontrolliert nur 30 Prozent", sagte er vor Reportern in Istanbul. Die Regierungstruppen griffen nun Wohngebiete an, "um Zivilpersonen gegen Rebellen aufzuhetzen." Salehs Darstellung konnte nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden.
Aktivisten meldeten auch am Dienstag landesweite Zusammenstöße, darunter in Aleppo und Idlib im Norden. Gekämpft wurde demnach aber auch in Daraa im Süden sowie in Vororten von Damaskus.
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