Paris. Schon wieder lässt Paris Roma-Lager räumen. Aber das ist nicht alles: Die neue Regierung will den Einwanderern auch Chancen bieten. Die Regierung entschied, Roma aus Bulgarien und Rumänien den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern. Zu diesem Zweck sollen Arbeitgeber, die Roma einstellen, keine zusätzliche Steuer mehr zahlen müssen.
Die Franzosen stöhnen über allerlei drängende Probleme: die hohen Spritpreise und die weiter steigende Arbeitslosigkeit etwa. Doch kein Thema erregt die Gemüter in den letzten Tagen so sehr wie das Schicksal der Roma. Eine mit nicht weniger als zehn Ministern besetzte Krisenrunde unter Vorsitz von Premierminister Jean-Marc Ayrault beugte sich jetzt über die Causa. Das konnte aber nicht verhindern, dass die Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie der neuen sozialistischen Regierung für Außenstehende ziemlich widersprüchlich anmutet.
Während Innenminister Manuel Valls wie einst Nicolas Sarkozy mit eiserner Faust illegale Elendssiedlungen am Rande der Metropolen räumen lässt, streckt seine Kabinettskollegin Cécile Duflot den Roma die Hand entgegen. Die grüne Wohnungsministerin will ihnen den Zugang zum französischen Arbeitsmarkt künftig spürbar erleichtern.
Ärgernis an der Bastille
Rund um den Pariser Bastille-Platz hat sich seit Tagen ein ganzer Clan breit gemacht. Auf dem Matratzenlager am Boulevard Richard-Lenoir verbringen sie die Augustnächte im Freien: ein halbes Dutzend junge Ehepaare mit kleinen Kindern und Säuglingen, dazu die Großeltern. Einige haben ein Dach unter der Haltestelle der Linie 69 gefunden, andere in einer engen Telefonzelle.
Ihr Hab und Gut schieben sie in großen Einkaufswagen durch die Millionenmetropole. Wer Glück hat, fischt tragbare Kleidung und verwertbare Lebensmittel aus den Abfalltonnen. Den Anwohnern, insbesondere den Gastwirten der Bistros und Cafés, sind die Roma ein Dorn im Auge. Weil sie betteln – oder jenes Trinkgeld stibitzen, das die Zecher auf den Tischen zurückgelassen haben.
Einbruch, Diebstahl, Betrug
Ein Ärgernis, das die jüngste Verbrechensstatistik der französischen Polizei bestätigt. Sie weist aus, dass die von Rumänen verübten Straftaten in nur drei Jahren um fast 70 Prozent gestiegen sind. Der damalige Innenminister Claude Guéant schockierte die Franzosen bereits vor einem Jahr mit der Erkenntnis, dass zehn Prozent derjenigen, die sich vor Pariser Gerichten verantworten müssen, rumänische Staatsangehörige sind.
Es ist eine Kriminalität, die sich auf nur fünf Départements in den Ballungsräumen Paris, Lyon und Marseille konzentriert. Ebenfalls auffällig: die meisten Tatorte sind Anziehungspunkte für Touristen. Die Bandbreite der Delikte bleibt dabei übersichtlich: Einbruch, Diebstahl, Betrug, Körperverletzung.
Was die Polizei zur Verzweiflung bringt, sind die minderjährigen Täter, die straffrei bleiben. Greifen sie einen zehnjährigen Taschendieb in der Pariser Métro auf, müssen sie ihn nach ein paar Stunden schon wieder laufen lassen. Gut möglich, dass sie ihn Stunden später schon wieder festnehmen müssen.
Elend ohne Ende in der Heimat
Die Roma polarisieren. Die einen haben für sie nur Hass und Verachtung übrig, andere bringen ihnen Mitleid und Verständnis entgegen. Oder Hilfe. Schließlich sind die meisten Opfer widriger Verhältnisse: Gefangene in einem Teufelskreis aus Demütigung, Armut und Kriminalität. Ein Elend, das seine Wurzeln in der rumänischen und bulgarischen Heimat hat. Dort, wo sie seit jeher diskriminiert, gehetzt und verjagt werden.
Zwar hat Brüssel den EU-Neulingen üppige Milliardenhilfen aus dem Strukturfonds überwiesen, doch bei den Roma, die als Tagelöhner nur fünf bis zehn Euro am Tag verdienen, kommen diese Wohltaten gar nicht oder nur spärlich an. So sind ein Viertel der jungen Roma einer aktuellen Studie zufolge Analphabeten, die noch nie eine Schule von innen gesehen haben. Die Bildungsmisere hat katastrophale Folgen: Wer nicht Lesen und Schreiben kann, findet kaum Arbeit. Wer keine Arbeit hat, lebt in Armut und landet eher auf der schiefen Bahn.
Legaler Arbeitsmarkt
In Frankreich öffnen sie den Roma jetzt die Tore zum legalen Arbeitsmarkt. Beschränkungen, die beim EU-Beitritt aus Furcht vor einem Heer unerwünschter, zu Dumpinglöhnen arbeitender Einwanderer verfügt wurden, hat die sozialistische Regierung aufgehoben.
Arbeitgeber, die nun einen Roma einstellen, müssen fortan keine Sondersteuer mehr entrichten. Auch die Bandbreite der Tätigkeiten, die Roma künftig ergreifen dürfen (bisher 150), wird umfassend vergrößert. Diese Erleichterungen, betonte Ministerin Duflot, sollten besonders jenen Roma zu Arbeit verhelfen, die arbeiten wollen.