Berlin. Der ehemalige SPD-Politiker und NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement bringt Schwung in die Rentendebatte. Er findet, dass eine Rente bis 67 zu kurz greife - und schlägt vor, dass fitte Deutsche bis 80 Jahre arbeiten sollen. Derweil streitet die Bundesregierung weiter über die geplante Zuschussrente von Ursula von der Leyen (CDU).

Der frühere Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement hält eine Ausdehnung der Lebensarbeitszeit für erforderlich. "Wir sind darauf angewiesen, dass die Menschen in Deutschland länger als bisher arbeiten", sagte der 72-Jährige der Tageszeitung "Die Welt". Der frühere SPD-Politiker und NRW-Ministerpräsident fügte hinzu: "Wir können nicht bei der Rente mit 65 oder der Rente mit 67 verharren, das greift zu knapp." Wer wolle und es könne, solle bis zum 75. oder 80. Lebensjahr arbeiten. "Ja, klar – wer will und kann! Warum denn nicht?"

Er tue dies auch, betonte Clement, "hoffe ich jedenfalls, ist ja nicht mehr allzu lange hin". Clement sagte im "Welt"-Interview weiter: "Ein Drittel der Menschen meines Alters, zwischen 65 und 80, wollen länger arbeiten. Das sollten wir nutzen, denn das zeigt: Viele Bürger, vor allem die älteren, sind mit ihrer Lebenseinstellung viel weiter als die Politik."

Von der Leyen kämpft für Zuschussrente

Derweil kommt die Bundesregierung beim Thema Rente nicht zur Ruhe. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte, die Entscheidung für die von ihr geplante Zuschussrente gegen Altersarmut müsse im Herbst fallen. An der raschen Durchsetzung wolle sie sich messen lassen. "Ich stehe dafür gerade, dass hier etwas passiert", sagte die CDU-Vizechefin im ARD-"Morgenmagazin". Dagegen trat die FDP bei der Zuschussrente kräftig auf die Bremse. Das gehe "nicht mal so eben schnell", sagte FDP-Vize und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Südwestrundfunk (SWR).

Wolfgang Clement

Er ist ein echtes Ruhrgebietskind: Am 7. Juli 1940 wird Wolfgang Clement in Bochum geboren. Von 1960 bis 1965 studiert er Jura in Münster.
Er ist ein echtes Ruhrgebietskind: Am 7. Juli 1940 wird Wolfgang Clement in Bochum geboren. Von 1960 bis 1965 studiert er Jura in Münster. © Fremdbild
Der Jurist hat aber auch Spaß am Zeitung- und Meinung machen. 1968 wird Clement Redakteur bei der
Der Jurist hat aber auch Spaß am Zeitung- und Meinung machen. 1968 wird Clement Redakteur bei der "Westfälischen Rundschau", von 1973 bis 1981 sogar stellvertretender Chefredakteur. © ddp
Seine große Meinungsfreude zeichnet ihn aus. Clement lädt bevorzugt die Politiker zu Interviews ein, die eine andere Meinung vertreten als er. Mit ihnen diskutiert Clement dann ausgiebig und kontrovers über das aktuelle Thema.
Seine große Meinungsfreude zeichnet ihn aus. Clement lädt bevorzugt die Politiker zu Interviews ein, die eine andere Meinung vertreten als er. Mit ihnen diskutiert Clement dann ausgiebig und kontrovers über das aktuelle Thema. © Christian Kruska
1981 beginnt die politische Karriere von Wolfgang Clement. Er wird Sprecher des SPD-Vorstandes, von 1985 an zugleich stellvertretender Bundesgeschäftsführer der SPD.
1981 beginnt die politische Karriere von Wolfgang Clement. Er wird Sprecher des SPD-Vorstandes, von 1985 an zugleich stellvertretender Bundesgeschäftsführer der SPD. © WAZ
Wegen Johannes Rau legt Clement dann aber auch schnell wieder seine Parteiämter nieder. Clement ärgert, dass die SPD ihren Kanzlerkandidaten Rau nur mangelhaft unterstützt hat. 1988 übernimmt Clement die Chefredaktion der
Wegen Johannes Rau legt Clement dann aber auch schnell wieder seine Parteiämter nieder. Clement ärgert, dass die SPD ihren Kanzlerkandidaten Rau nur mangelhaft unterstützt hat. 1988 übernimmt Clement die Chefredaktion der "Hamburger Morgenpost". 1989 revanchiert sich Rau ... © WR
... und macht Clement zum Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei und Minister für besondere Aufgaben.
... und macht Clement zum Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei und Minister für besondere Aufgaben. © AP
1995 wird Clement Wirtschaft- und Verkehrsminister in NRW. Er liefert sich heftige Auseinandersetzungen mit Umweltministerin Höhn (Grüne) um den Braunkohlentagebau Garzweiler II.
1995 wird Clement Wirtschaft- und Verkehrsminister in NRW. Er liefert sich heftige Auseinandersetzungen mit Umweltministerin Höhn (Grüne) um den Braunkohlentagebau Garzweiler II. © WAZ
1998 schlägt Clements große Stunde: Er wird Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Mit Franz Müntefering hat er einen loyalen Parteimann an der verstehen.
1998 schlägt Clements große Stunde: Er wird Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Mit Franz Müntefering hat er einen loyalen Parteimann an der verstehen. © ddp
Als Ministerpräsident setzt sich Clement besonders für den Abbau der hohen Jugendarbeitslosigkeit ein.
Als Ministerpräsident setzt sich Clement besonders für den Abbau der hohen Jugendarbeitslosigkeit ein. © Bannert
Eine Männerfreundschaft beginnt, als Clement 1999 stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender wird. 2002 landet Clement dann auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere: Gerhard Schröder macht ihn zum Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit.
Eine Männerfreundschaft beginnt, als Clement 1999 stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender wird. 2002 landet Clement dann auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere: Gerhard Schröder macht ihn zum Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit. © WR
Die Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen sind eng mit Clements Namen verbunden. Große Teile der Partei sind nicht besonders stolz darauf.
Die Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen sind eng mit Clements Namen verbunden. Große Teile der Partei sind nicht besonders stolz darauf. © ddp
Seit 2006 hat sich Wolfgang Clement aus der aktiven Politik zurückgezogen. Er nimmt mehrere Aufsichtsratsmandate wahr, unter anderem beim Energiekonzern RWE Power AG.
Seit 2006 hat sich Wolfgang Clement aus der aktiven Politik zurückgezogen. Er nimmt mehrere Aufsichtsratsmandate wahr, unter anderem beim Energiekonzern RWE Power AG. © WAZ
Er gibt zahlreiche Interviews, wie hier in der Redaktion von DerWesten.
Er gibt zahlreiche Interviews, wie hier in der Redaktion von DerWesten. © frank vinken / waz
In diesen Interviews kritisiert er seine Partei oft scharf. Nicht nur Andrea Ypsilanti muss das wegen ihrer Energiepolitik merken. Auch der Linksruck von SPD-Parteichef Kurt Beck stößt bei Clement 2008 auf wenig Gegenliebe.
In diesen Interviews kritisiert er seine Partei oft scharf. Nicht nur Andrea Ypsilanti muss das wegen ihrer Energiepolitik merken. Auch der Linksruck von SPD-Parteichef Kurt Beck stößt bei Clement 2008 auf wenig Gegenliebe. © ddp
Und so kommt es, dass Teile der SPD ihren ehemaligen Minister aus der Partei ausschließen wollen. Clement setzt sich bis zuletzt gegen einen möglichen Ausschluss mit Hilfe seines Anwalts Otto Schily zur Wehr. Er erhält eine öffentliche Rüge, wird aber nicht ausgeschlossen.
Und so kommt es, dass Teile der SPD ihren ehemaligen Minister aus der Partei ausschließen wollen. Clement setzt sich bis zuletzt gegen einen möglichen Ausschluss mit Hilfe seines Anwalts Otto Schily zur Wehr. Er erhält eine öffentliche Rüge, wird aber nicht ausgeschlossen. © ddp
Doch auch die Rüge ist ihm zuviel: Clement erklärte daraufhin selbst seinen Austritt aus der SPD.
Doch auch die Rüge ist ihm zuviel: Clement erklärte daraufhin selbst seinen Austritt aus der SPD. © ddp
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Von der Leyen war am Dienstag von ihrem Plan abgerückt, die vorgesehene Senkung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung mit der Zuschussrente in einem Gesetzentwurf zu verbinden. Die Senkung soll nach Worten der Arbeitsministerin zum 1. Januar 2013 kommen und das Rentenreformpaket zum 1. Juli 2013. Die Zuschussrente soll auch Thema im nächsten Koalitionsausschuss sein.

Die Arbeitsministerin sagte, bis Ende Oktober müssten "die positiven Entscheidungen zur Zuschussrente getroffen" sein. "Der Zeitplan ist klar. Sie können mich auch an den Worten messen", betonte sie.

Justizministerin für ruhige Debatte

Leutheusser-Schnarrenberger sagte hingegen, die Debatte werde "jetzt in Ruhe" geführt. Bei der Bekämpfung der Altersarmut müsse die Frage geklärt werden, ob "das alles nur die Beitragszahler in der Rentenversicherung möglicherweise aufgebürdet bekommen". Sie fragte: "Ist das nicht eher eine Frage, die eigentlich insgesamt alle Steuerzahler betrifft, weil es nämlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist?"

Die stellvertretende FDP-Vorsitzende fügte hinzu, es sei "gut und richtig", dass die geplante Zuschussrente "nicht in Zwangshaft genommen" werde mit der gesetzlich gebotenen Senkung der Beiträge zur Rentenversicherung.

Arbeitgeber halten Senkung für möglich 

Die genaue Höhe des künftigen Rentenversicherungsbeitrags ist noch unklar. Es zeichne sich eine Senkung des Beitragssatzes von 19,6 auf etwa 19 Prozent ab, sagte von der Leyen (CDU) der "Passauer Neuen Presse". Der genaue Satz könne "auch noch etwas niedriger oder höher liegen", sagte sie. "Die exakten Daten haben wir im Herbst und werden sie dann in das Gesetz einfügen."

Die Arbeitgeber sehen einem Zeitungsbericht zufolge Spielraum für eine Senkung auf bis zu 18,9 Prozent. Die bisherigen Vorhersagen für eine Senkung des Beitragssatzes auf 19,0 Prozent beruhten auf vorsichtigen Annahmen, berichtete die Düsseldorfer "Rheinische Post" unter Berufung auf ein internes Papier der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

DGB spricht von "vergiftetem Wahlgeschenk"

Unterdessen läuft der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gegen die geplante Senkung Sturm. "Die Rentenkassen jetzt zu plündern, ist ein vergiftetes Wahlkampfgeschenk", sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der "Saarbrücker Zeitung" (Donnerstagausgabe). Angesichts der demografischen Probleme sei es "grotesk, plötzlich einfach die Rücklagen zu verpulvern". Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Klaus Wiesehügel, fügte hinzu, eine Beitragssenkung führe "geradewegs in die Verelendung künftiger Rentnergenerationen. Da hilft auch keine Zuschussrente."

Auch SPD und Linke lehnten eine Senkung des Beitragssatzes ab. Der Rentenexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Anton Schaaf, sagte im Deutschlandradio Kultur, er schlage vor, das Geld stattdessen "für eine Demografiereserve" und für ein besseres Rentenniveau einzusetzen. Der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, sagte der Nachrichtenagentur dapd: "Zehn Euro bringt die Beitragssatzsenkung einem Durchschnittsverdiener. Das kann man einfacher durch eine Abschaffung der Praxisgebühr rausholen." (dapd)