Essen. . Der Historiker Rolf Brütting fordert 25 Prozent mehr Unterrichtsstunden für die Sek I an Gymnasium. Die schwarz-gelbe Koalition hatte diese Stunden gestrichen, als das G 8 eingeführt wurde. Der neue Lehrplan Geschichte sieht vor, dass die deutsch-deutsche Geschichte verzahnt unterrichtet wird.

Dass Zehntklässler in NRW über die deutsche Nachkriegs­geschichte weniger wissen als Jugendliche in anderen Bundesländern, ist für den Dortmunder Dr. Rolf Brütting keine Überraschung. Die Daten der Berliner Studie seien „das erste deutliche Negativ-Ergebnis der radikalen Kürzung des ­Geschichtsunterrichts am Gymnasium“, sagte der Geschichtslehrer a.D. und Vorsitzende des NRW-Geschichtslehrer-Verbandes im Philologenverband dieser Zeitung.

Die schwarz-gelbe Landesregierung unter Jürgen Rüttgers hatte nach 2005 entschieden, dass das Fach Geschichte in der verkürzten Sekundarstufe I der Gymnasien nur noch in den Schuljahren sechs, sieben und neun unterrichtet werden sollte.

Schwarz-Gelb fand jede vierte Geschichtsstunde verzichtbar

Der Grund war die Einführung des Abiturs nach acht Schuljahren (G8). Dazu musste in allen Fächern der Lernstoff aus bislang neun Jahren deutlich „entschlackt“ und „komprimiert“ werden, wie es damals hieß. Das Fach Geschichte fand ausgerechnet die konservativ-liberale Koalition in Teilen gut verzichtbar.

Die Folgen der Stundenstreichung, so Brütting, seien bis heute fatal, die Untersuchung aus Berlin sei ein weiterer Beleg dafür. „Alle anderen Bundesländer blieben auch nach Einführung des G8 bei vier Jahren Geschichtsunterricht bis zur Klasse zehn. NRW steht in diesem Punkt ganz unten am Ende der Bundesländer.“

Doppelte deutsche Geschichte verzahnt lernen

Der neue Lehrplan für sein Fach gilt seit 2011 und er sei ganz gut gelungen. „Wir haben als Verband durchgesetzt, dass die doppelte deutsche Geschichte verzahnt unterrichtet werden soll – gerade damit sich die alte DDR nicht einfach in Luft auflöst.“

Das Problem sei aber die Umsetzung: In einem Schuljahr (Klasse neun) in netto 60 Unterrichtsstunden müsse die komplette Historie vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart behandelt werden. Die Stoffmenge sei immens. „Wenn das nicht sehr sauber geplant ist, fällt die Nachkriegszeit dabei schnell runter“, weiß der Praktiker. Seine Forderung lautet deshalb: „Wir müssen zurück zu vier Jahren Geschichtsunterricht.“

Manche Lehrkräfte setzen bei Jugendlichen zu viel voraus

Andreas Merkendorf, Sprecher des NRW-Philologenverbandes in Düsseldorf, kann sich noch einen anderen Grund für die Lücken im Schülerwissen vorstellen. „Die jungen Leute, die heute Abitur machen, waren zum Zeitpunkt des Mauerfalls noch gar geboren. Kein Wunder, dass die Ereignisse von 1989 und davor für sie in einer fernen Zeit liegen.“

Geschichtslehrer, die die aufregenden Zeiten der Maueröffnung mit Interesse verfolgt haben, sollten dies berücksichtigen. „Manche gehen vielleicht zu naiv daran und denken: Die Bilder von damals, die muss doch jeder kennen.“ Damit, so Merkendorf, „setzen sie aber zu viel voraus.“ Darauf müssten die Schulen künftig stärker achten.