Stuttgart. Stefan Mappus, früher Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hat einen harten Absturz erlebt. Samstag trifft sich die Union im Südwesten zum Parteitag. Der Fall Mappus wird allgegenwärtig sein, als Trauma in den Köpfen der Delegierten. Hier die Details zum „Mappus-Krimi“.

Am Samstag treffen sich die 400 Delegierten der baden-württembergischen CDU zum Parteitag. In den Köpfen tragen sie ein Trauma: TV-Bilder von Staatsanwälten, die in der Spichernstraße in Pforzheim ein Haus räumen. Es gehört Stefan Mappus. Die Anklage bezichtigt den Ex-Ministerpräsidenten der Untreue.

Er soll „Vermögensverluste“ für die Steuerzahler „billigend in Kauf genommen“ haben, als er 2010 für 4,67 Milliarden Euro Energieaktien des Stromproduzenten EnBW kaufte. Doch wie in jedem guten Krimi gibt es hier mehrere Wahrheiten - bis kurz vor Schluss, wenn der Täter feststeht.

Zwischen Elysee und Kreml

Herbst 2010. Mappus, jung im Amt, fühlt sich in der Falle. Draußen zerlegen die Bahnhofsgegner die Stuttgart 21-Pläne. Intern gibt es schlechte Nachrichten aus Paris. Frankreich will über den 45-prozentigen Anteil reden, den das Ländle zehn Jahre zuvor an die staatliche Electricite de France (EdF) verkaufte. 45 Prozent waren bei schwäbischen Kiommunen geblieben. Klarer wird die Botschaft, als der Alpha-Mann aus Deutschland mit EdF-Chef Henri Proglio beim Essen sitzt. EdF, in zweistelliger Milliardenhöhe verschuldet, will 100 Prozent der Anteile haben - oder alles am Markt losschlagen.

Das „Alles oder nichts“ der Franzosen kontert Mappus am 10. November beim Besuch an der Seine mit einem „weder noch“: Ausgeschlossen ist für ihn, dass die südwestdeutsche Energieversorgung mit vier Kernkraftwerken aus dem Elysee gesteuert wird. Andererseits: Wenn EdF den eigenen Anteil verkauft, kauft vielleicht Gazprom, der Ableger des Kreml? Der hat schon in Essen nach Ruhrgas gegiert. Das will er nicht. Mappus sieht nur einen Ausweg: Er will er die Lage von vor 2000 wiederherstellen und den Verkauf der Landesanteile an die Franzosen rückgängig machen.

Codewort „Olympia“

Mappus braucht Freunde für den Deal. Ein ganz alter mischt in der Wirtschaft ganz oben mit: Dirk Notheis, Deutschlandchef der Investmentbank Morgan Stanley. Sie haben im gleichen Klassenzimmer gesessen und nach der Schule zu Hause gespielt. Sie haben gemeinsam die Junge Union gesteuert und Politik im CDU-Landesvorstand gemacht. Notheis kennt sich überdies in Unternehmenskäufen aus.

Als ihn Mappus fragt, sagt Notheis ja. Was dann zwischen der vorletzten Novemberwoche und dem 6. Dezember stattfindet, ist ein Rennen gegen die Zeit. EdF will den Jahresabschluss polieren. Paris braucht die Einnahme aus dem Verkauf dringend. Man macht die Nacht zum Tag, wird später ein Morgan Stanley-Manager sagen. Das Gespann Mappus/Notheis macht jetzt Industriepolitik im Hinterzimmer. Die Geheimoperation trägt das Codewort „Olympia“. Der beständige Einfluss des Freundes ist in zig E-Mails belegt: Zieh es in deiner Regierung alleine durch! Lass andere Berater und Banken draußen! Nur ich bin dein Mann! Notfalls gelte es auch, „Mutti“ einzuschalten. „Mutti“ - das ist die Kanzlerin.

Mappus hört. Er muss in dieser Situation die Sensibilität für den gebotenen Abstand verloren haben, sagt einer, der ihm heute beisteht.

Der Preis

Was muss der Steuerzahler für den Rückkauf auf den Tisch legen? 39,90 Euro je Aktie. Das ist der Buchwert, den die EdF für ihren EnBW-Anteil zunächst will. Später erhöht Proglio auf 40 Euro. Für das Land wird die Differenz elf Millionen Euro ausmachen. Wiedersagt Mappus ja. Drei „Fairness Opinions“ will er eingeholt haben. Bei Morgan Stanley, auch bei der Landesbank - bis er am 6. Dezember unterschreibt. „Fairness Opinions“ sind wenige Seiten Wertung. Unzureichend, finden die Staatsanwälte. Die eingehende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung fehle. Die Anwälte fragen: Warum? Kannte nicht jeder im Ländle die Zahlen?

Das Parlament

Es gibt Dinge, die Mappus eingesteht. „Ich würde den eingeschlagenen Rechtsweg heute so nicht mehr gehen“. Denn er handelte 2010 am Landtag vorbei. Die EdF wollte es, eine beratende Kanzlei hielt es für rechtlich „gangbar“. 4,67 Milliarden Euro Steuergeld flossen, ohne dass die Volksvertretung das vorher abgenickt hat. Erst im Nachhinein kam es dazu.

Der Schaden

Mappus habe nicht nur das Parlament umgangen, sagt die grün-rote Regierung, sondern einen um 840 Millionen Euro überhöhten Preis bezahlt. Zwar weigert sich der Landesrechnungshof, solche Zahlen zu nennen. Er stellt in Frage, ob man dies überhaupt tun kann. Auch der Anwalt von Mappus, der Essener Jurist Stephan Holthoff-Pförtner, sagt: „Er hat den Schaden nicht angerichtet. Es wird also auch nicht gelingen, einen Vorsatz nachzuweisen“.

Aber die 840 Millionen könnten die Hausnummer sein, um die es am Ende in einem Prozess geht. Es wäre das erste Mal, dass sich ein deutscher Ministerpräsident für sein Regierungshandeln juristisch verantworten muss. Politisch wird er es. Am 12. Oktober sagt Stefan Mappus im Untersuchungsausschuss aus.