Berlin. Wegen neu aufgetauchten Geheimakten zur Zwickauer Terrorzelle NSU tritt nun auch Sachsens Verfassungsschutzchef Reinhard Boos zurück. Die Dokumente seien offenbar wegen des “eklatanten Fehlverhaltens einzelner Mitarbeiter“ erst jetzt gefunden worden. Boos bat deshalb um seine Versetzung.

Ermittlungspannen in der Neonazi-Mordserie haben am Mittwoch einen dritten Verfassungsschutz-Chef den Job gekostet. Der Präsident des sächsischen Landesamtes, Reinhard Boos, bat um seine Versetzung, nachdem bei seinem Dienst Protokolle von Telefon-Überwachungen im Zusammenhang mit dem rechtsextremen Trio von Ende 1998 gefunden worden waren. Das Parlament sei zwar über die Abhör-Aktion informiert worden, erklärte Sachsens Innenminister Markus Ulbig. Neu sei aber, dass beim Verfassungsschutz noch Protokolle dazu existierten. Offenbar wegen des eklatanten Fehlverhaltens einzelner Mitarbeiter sei dies erst jetzt bekanntgeworden. Eine disziplinarische Untersuchung sei eingeleitet.

Boos habe wegen des Vorfalls um seine Versetzung ab August gebeten, erklärte Ulbig. Boos sei tief enttäuscht, weil er in den vergangenen Monaten persönlich mit seinem Wort dafür eingestanden sei, dass offen, ehrlich und vollständig aufgeklärt werde. Unter diesen Umständen könne er das Amt nicht mehr mit dem gebotenen Vertrauen weiterführen. Ulbig zollte Boos Respekt für diesen Schritt und erklärte, der Beamte sei außerordentlich integer und habe die Aufklärung im Fall der Zwickauer Zelle von Anfang an unterstützt.

Innenminister will unabhängigen Experten einsetzen

"Ich habe angeordnet, dass die Vorgänge unter Aufsicht meines Ministeriums unverzüglich gesichtet und den zuständigen Stellen, etwa dem Generalbundesanwalt, zur Verfügung gestellt werden", sagte Ulbig. Zudem werde er die Unterlagen auch den zuständigen Gremien auf Bundes- und Landesebene zukommen lassen, wo mehrere Untersuchungsausschüsse, Kommissionen und Sonderermittler sich der Aufklärung des Falles widmen. Auch Ulbig kündigte die Einsetzung eines unabhängigen Experten an.

Der rechtsextreme Hintergrund der Mordserie an neun Einwanderen und einer Polizistin war erst Jahre nach den Taten und nur durch Zufall aufgeflogen. Die Sicherheitsbehörden stehen wegen massiver Ermittlungspannen in dem Fall unter Druck. Vergangene Woche kündigte Bundesverfassungsschutz-Chef Heinz Fromm seinen Rückzug an, nachdem in seinem Haus Akten über die Thüringer Rechtsextremisten-Szene geschreddert worden waren. Die Unterlagen wurden ausgerechnet zu dem Zeitpunkt zerstört, als die Dimension des Falles bekanntwurde und die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich zog. Fromm erklärte, er fühle sich hinters Licht geführt. Der Thüringer Verfassungsschutz-Chef Thomas Sippel wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt, weil er nicht mehr das Vertrauen des Parlaments habe. Das Zwickauer Trio war Anfang 1998 in den Untergrund gegangen. (rtr)