Berlin.. Vier Millionen Muslime leben in Deutschland. Die Grünen fordern, muslimische Gemeinschaften rechtlich wie die christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinde zu behandeln. Renate Künast und Volker Beck stellen am Donnerstag ihre „Roadmap“ vor. Doch es gibt viele Hindernisse.
Natürlich darf der Satz nicht fehlen. Es geht bei diesem Auftritt ja auch um Glaubensbekenntnisse. Also: „Der Islam ist ein Teil von Deutschland.“ Hier und heute, an einem schwülen Berliner Vormittag, ist es Volker Beck, der die geflügelten Worte ausspricht.
Der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen sitzt im Saal der Bundespressekonferenz neben seiner Chefin Renate Künast und präsentiert eine Fleißarbeit. In einem „mehrjährigen Prozess“, wie er berichtet, habe die Fraktion um Klarheit gerungen. Mit Religionswissenschaftlern und Verbänden diskutiert, „auf Augenhöhe“ – und dabei beharrlich die Frage umkreist, auf die seit sechs Jahren drei Innenminister mit einer ganzen Islamkonferenz keine Antwort gefunden haben: Ob, und wenn ja, wie die vier Millionen Muslime in Deutschland als Glaubensgemeinschaft in gleicher Weise staatliche Anerkennung finden können wie die christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinde.
„Wir wollen Druck machen“
Vier islamische Verbände gibt es hierzulande, seit 2007 locker vereinigt im „Koordinationsrat der Muslime“. Einer davon, der größte, ist eine Filiale des türkischen Religionsministeriums. Ob er überhaupt für eine Mehrheit der muslimischen Bevölkerung spricht, ist umstritten. Manche ihrer Mitglieder oder Teilorganisationen finden sich in Berichten des Verfassungsschutzes kritisch gewürdigt.
Als Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes, Träger des Religionsunterrichts, Ansprechpartner des Staates, privilegierte Körperschaft des Öffentlichen Rechts, kommt keiner dieser Verbände in Frage. Nicht zuletzt deshalb, weil sie sich nicht nach theologischen Maßstäben als Konfessionen voneinander unterscheiden, sondern jeweils sehr weltliche Lobby-Interessen vertreten. Höchste Zeit, dass sich etwas ändert, finden die Grünen. „Wir wollen mit unserem Denkanstoß Druck machen“, sagt Künast.
Soviel zur Absicht der grünen „Roadmap“, also der Wegekarte zur „Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“. Dass sie als erste Fraktion im Bundestag mit einem solchen Papier aufwarten können, lassen Künast und Beck nicht unerwähnt. Mit der Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört, tun sich andere schwerer.
Kürzlich noch hat der Bundespräsident Stirnrunzeln und Aufsehen erregt, als er die Frage in der gleichen Formulierung beantwortete, wie es seit jeher der Innenminister, ein CSU-Mann, zu tun pflegt, und seinem Vorgänger damit widersprach: „Die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland“, sagte Joachim Gauck. Was zugleich bedeutete, dass er den Islam wohl eher nicht für eine der historischen Wurzeln der deutschen Kultur hält. Moslemische Verbandsvertreter reagierten gekränkt.
Streitfall Beschneidung
Gibt es derzeit eine andere Frage, an der sich dermaßen die Geister scheiden? Für den jüngsten Aufreger sorgte ein Kölner Landgericht mit dem Urteil, die Beschneidung von Jungen sei als Körperverletzung strafbar. Das Verdikt traf auch die jüdischen Gemeinden. Gleichwohl zeigen sich 56 Prozent der Bevölkerung einverstanden. Sogar ein liberaler Muslim, der Polizisten und Bundeswehrsoldaten in der Kultur seines Herkunftslandes unterrichtet, hält es für „fraglich, ob es in Ordnung ist, Minderjährige zu beschneiden“.
Viel Angst mischt sich in die Debatte. Ob Salafisten auf der Straße den Koran verteilen, ein Moscheebauprojekt zum heiklen Streitfall gerät oder eine Umfrage zeigt, dass ein Viertel der Deutschen Muslimen die Zuwanderung am liebsten verbieten würde – letztlich geht es um Vertrauen. Von der einen Seite richtet sich Argwohn auf die islamischen Verbände, wie ernst es ihnen wirklich ist mit dem Bekenntnis zu den Werten des Grundgesetzes. Die Gegenseite fühlt sich missverstanden und nicht akzeptiert.