Athen. . Yannis Stournaras gilt als einer der renommiertesten Ökonomen Griechenlands. Der 53-Jährige war als Chefunterhändler maßgeblich an der Einführung des Euro in Griechenland beteiligt. Die NRZ sprach mit dem designierten Finanzminister über wirtschaftspolitische Verfehlungen und nationale Verirrungen.

Herr Stournaras*, Sie haben es vor wenigen Tagen abgelehnt, neuer Finanzminister Griechenlands zu werden. Ist die Lage in Ihrem Land wirklich so aussichtslos?

Yannis Stournaras: Keineswegs. Aber nachdem Samaras das Angebot des Premierministers auf Zusammenarbeit abgelehnt hat, hielt ich es für besser, weiterhin nur beratend zu wirken. Damit Technokraten wie ich erfolgreich in einer Regierung arbeiten können, brauchen sie eine Koalition der nationalen Einheit. Und auch wenn diese nun nicht zustande gekommen ist, die Lage ist nicht aussichtslos. Selbst wenn es um Leben und Tod geht, und das tut es ökonomisch gesehen, bleibt einem die Aussicht auf das Leben.

Statt Technokraten hat Papandreou die innerparteiliche Opposition in die Regierung geholt.

Stournaras: Ein cleverer Schritt. Diejenigen in seiner Partei, die Papandreou in der letzten Zeit so heftig kritisiert haben, stehen nun in der Verantwortung. Sie werden Ende des Monats dem Sparpaket im Parlament zustimmen, zustimmen müssen. Es sei denn, sie wollen die sein, die ihr Land zerstört haben.

Der neue Wirtschaftsminister Venizelos, ein Verfassungsrechtler, ist bislang nicht durch ökonomischen Sachverstand aufgefallen.

Stournaras: Aber er hat eine ungemein schnelle Auffassungsgabe. Und er kann zuhören, das ist wichtig bei Politikern. Sie werden sehen, dass es beim Sparprogramm keinerlei Kom­promisse geben wird, ganz einfach, weil es keine geben kann.

Jedoch begehren die Griechen dagegen auf, sie sehen sich dem Diktat der Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und IWF ausgeliefert.

Stournaras: Wir sind doch selber schuld an unserer Lage. Nein, ich habe kein Verständnis für die Proteste. Wo waren alle diese Empörten, als wir den uneffizientesten und aufgeblähtesten öffentlichen Sektor geschaffen haben, denn die westliche Welt gesehen hat. Selbst diese Regierung hat Fehler gemacht. Zum Beispiel, als sie statt zügig die Privatisierung von Staatsbetrieben anzugehen, die Steuern erhöht und damit die Wirtschaft abgewürgt hat. Das war nicht die Idee der Troika. Das war einfach nur falsch. Die EU darf nicht aufhören, vor allem im öffentlichen Sektor weitere Reformschritte von den Griechen einzufordern, die sind gut für unser Land.

Ihre Landsleute sehen das anders, sie malen Protestplakate mit Hakenkreuzen auf der Europafahne.

Stournaras: Mein Lebensmotto ist: Menschen mit Humor gewinnen immer. Natürlich hätte ich mir eine kreativere Antwort auf Titelbilder wie die des Focus gewünscht, der uns auf seiner Titelseite den Mittelfinger zeigt; oder den Spiegel, der den Euro zu Grabe trägt, in einem Sarg mit der griechischen Fahne darauf. Wir Griechen sind da offensichtlich nicht weniger dünnhäutig als die Deutschen.

Vor allem sind wir Deutsche zahlungsunlustig.

Stournaras: Das sind keine Geschenke. In diesem Jahr haben wir allein an Deutschland 20 Millionen Euro an Zinsen überwiesen. Seit 1932 haben die Griechen nicht eine Kreditrate ausfallen lassen. Worum wir bitten, ist etwas mehr Zeit, um unsere Probleme in den Griff zu bekommen. Diese Zeit bezahlen wir euch auch.

*Das Interview wurde geführt, bevor Stournaras am Dienstag zum neuen Finanzminister Griechenlands erklärt wurde.