Berlin. . Verfassungsgericht bittet den Bundespräsidenten, die Verträge zum Fiskalpakt und zum Rettungsschirm vorerst nicht zu unterschreiben. Das ist eine Blamage für die Regierung. Merkel soll versucht haben, Gauck zur Unterschrift sofort nach dem Parlamentsbeschluss zu drängen. Vergebens.

Es war der erste Fehltritt von Bundespräsident Joachim Gauck: Verfassungsklagen gegen den neuen Euro-Rettungsfonds ESM und den Fiskalpakt hätten keine Chance, plauderte der Präsident vor zwei Monaten beim Antrittsbesuch in Brüssel. Deutschland habe ein verlässliches Vertragswerk zur Haushaltskontrolle geschaffen: „Ich sehe nicht, dass die Bereitschaft der Regierung konterkariert wird vom Verfassungsgericht.“

Die Äußerung galt schon damals als ungeschickt, jetzt wird sie für Gauck zum Problem. Der Präsident bekommt in einer Woche, wenn Bundestag und Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit dem ESM und dem Fiskalpakt zur Schuldenbegrenzung zugestimmt haben, unter brisanten Umständen eben diese Verträge zur Unterschrift. Und er wird die Regierungspläne selbst „konterkarieren“ und erstmal nicht unterzeichnen, um eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht zu ermöglichen – zur Blamage der Bundesregierung.

Die Kanzlerin steht im Wort

Das Gericht hat Gauck gebeten, sich Zeit zur Prüfung zu lassen. Zuvor hatte die Linken-Bundestagsfraktion angekündigt, dass sie gegen den ESM und den parallel vorgelegten Fiskalpakt nicht nur, wie geplant, Verfassungsklage einreichen wird wegen Eingriffen in Kontrollrechte des Bundestags – sie will auch per Eilantrag die Verträge aufhalten. In solchen Fällen, so eine Gerichtssprecherin, sei es üblich, dass der Bundespräsident mit der Unterschrift warte, bis der Fall geprüft sei.

Doch diesmal hat der Fall eine internationale Dimension: Der Rettungsfonds ESM sollte zum 1. Juli in Kraft treten – das geht aber nur, wenn Länder, die zusammen 90 Prozent des Fondskapitals stellen, den Vertrag abgesegnet haben. Nur mit Deutschland wäre das erfüllt, und die Kanzlerin steht im Wort: Ein „starkes Signal aus Deutschland“ hat sie angekündigt. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat gewarnt, eine Verzögerung des ESM werde Probleme bereiten, neue Unruhe an den Finanzmärkten auslösen. Jetzt ist der Fall da, der ESM kommt erst Wochen später – wenn überhaupt.

Die Linke triumphiert

Merkel soll gestern energisch versucht haben, Gauck zur Unterschrift sofort nach dem Parlamentsbeschluss zu drängen. „Die Bundesregierung ist selbst für die Verzögerung verantwortlich, sie hat viel zu viel Zeit verstreichen lassen, bis sie mit der Opposition verhandelt hat“, sagte SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil. „Die Regierung muss jetzt zügig darlegen, dass sie die Verträge ausreichend verfassungsrechtlich geprüft hat.“

Die Linke triumphiert: „Das Verfassungsgericht hat das Hauruckverfahren bereits praktisch gekippt“, sagte Fraktionsvize Sahra Wagenknecht. „Das ist eine Ohrfeige für Merkel. Die Chancen, dass wir den Fiskalpakt als Ganzes kippen, stehen nicht schlecht.“ Denn noch umstrittener als der ESM ist der Fiskalpakt, der parallel zu den neuen Rettungsmilliarden die 25 Teilnehmerstaaten zu raschem Schuldenabbau und ausgeglichenen Haushalten verpflichtet. Der Pakt hebele die Mitbestimmung des Parlaments aus, schränke den Spielraum aller künftigen Regierungen ein, so Wagenknecht.

Mit den Bedenken steht die Linke nicht allein. Auch Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) hat gegen den Fiskalpakt Verfassungsklage angekündigt – während eine breite Allianz von Eurokritikern das Aus für den ESM fordert. Der Konflikt kommt nicht nur der Regierung ungelegen: Bei einem Spitzengespräch im Kanzleramt hatte sich die Regierung mit SPD und Grünen auf einen Pakt für Wachstum und Beschäftigung als Ergänzung zum Fiskalpakt verständigt – einschließlich einer Finanzmarktsteuer. Die Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag für die Verträge steht und wohl auch die Mehrheit im Bundesrat. SPD-Chef Sigmar Gabriel lobte die Einigung. Doch das Signal verpuffte schnell.