Berlin. . SPD, Grüne und Linke lassen bei der Abstimmung über das umstrittene Betreuungsgeld die Sitzung des Bundestages platzen. Das Gesetz ist damit vorerst gestoppt. Die Union spricht von „Foulspiel“. Doch auch aus ihren Reihen fehlte fast jeder dritte Abgeordnete.

Der Streit um das Betreuungsgeld ist eskaliert: Nach dem Abbruch der Bundestagssitzung am Freitagmorgen ist der Fahrplan der Regierung für die „Herd­prämie“ gescheitert. Die Koalition warf SPD, Grünen und Linken vor, mit ihrer gezielten Provokation das Parlament zu missbrauchen.

Politiker der Opposition hatten bei einer vorhergehenden Stimmzählung so lange vor dem Sitzungssaal gewartet, bis drinnen fest stand, dass das Parlament beschlussunfähig ist.

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Von Julia Emmrich

Die Folge: Die Sitzung wurde ­abgebrochen, die erste Lesung des Betreuungsgeld-Gesetzes fiel aus, die „Herdprämie“ kann nicht mehr am 29. Juni verabschiedet werden. Eine kostspielige Sondersitzung des Bundestags im Juli ist nicht ­geplant: Erst nach der Sommerpause soll jetzt das Parlament entscheiden. Der „Parforceritt“ durch den Bundestag, wie ihn auch ­der Koalitionspartner FDP kritisiert hatte, ist gebremst.

Zu wenige beim Hammelsprung

Es war der letzte Ausweg, heißt es in der Opposition. Nur durch den parlamentarischen Hebel der ­Beschlussunfähigkeit und den ­anschließenden Sitzungsabbruch sei das bis tief in die Union hinein unbeliebte Gesetz aufzuhalten gewesen. Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken nutzten aus, dass eine Stunde vor der Debatte nur zwei Drittel der Koalitionskollegen anwesend waren: Das Präsidium war durch unklare Handzeichen in die Lage geraten, die Beschluss­fähigkeit prüfen zu müssen.

Beim so genannten „Hammelsprung“, bei dem die Abgeordneten den Saal verlassen und dann einzeln beim Eintreten gezählt werden, zog die Opposition nicht mit. Statt der ­nötigen 311 Abgeordneten kamen deshalb nur 211 in den Saal zurück. Zu wenig, um weiter zu tagen.

Gegen Gesetzgebung „im Schweinsgalopp“

Die Union ist empört: „Feige“ sei das, ein „kleines, dreckiges Foulspiel“. Die SPD sei mit ihrer „Arbeitsverweigerung“ am „Gefrierpunkt der Demokratie“ angekommen. Parteien würden nicht dafür gewählt, um sich „hinter der Tür zu verstecken“, schimpften die Generalsekretäre von CSU und CDU unisono. Auch aus der FDP, die kein Freund des Betreuungs­geldes ist, kam Kritik: Der „Par­lamentsboykott“ sei ein „feiges Mätzchen“.

Die Opposition fühlt sich ­dagegen im Recht: „Angesichts des Schweinsgalopps, mit dem das ­Betreuungsgeld ohne sachlichen Grund durchs Parlament gepaukt werden sollte, war es richtig, die Reißleine zu ziehen“, so Katja ­Dörner, familienpolitische Sprecherin der Grünen, gegenüber der WAZ. Die Aktion, das bestätigt sich im Laufe des Tages, war keine spontane Idee, sondern geplant. Und die Kritik daran einkalkuliert: Eine Bundestagsitzung auf diese Weise abzubrechen, sei „ein scharfes Schwert, das man nicht leichtfertig einsetzt“, so Dörner.

Ein Scheitern mit Ansage

Die SPD betont, dass sie mit dem Boykott nur verstärkt habe, was schon sichtbar war: Der Koalition fehlten zum Zeitpunkt des ­„Hammelsprungs“ mehr als 100 ihrer 330 Abgeordneten. „Selbst wenn alle Oppositionspolitiker zurück in den Saal gekommen wären, hätte es nicht gereicht“, heißt es in der Fraktion. Es sei „nicht Aufgabe der Opposition, fehlende Stimmen der Koalition zu ersetzen“, so SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. „Die Beschlussun­fähigkeit hat sich die Koalition ganz und gar alleine zuzuschreiben.“ Heißt: Wer für seine umstrittenen Gesetze nicht rechtzeitig die Truppen sammle, sei selbst schuld.

Die geplatzte Sitzung ist ein Scheitern mit Ansage: Die Familienpolitiker der Opposition hatten sich schon Mitte der Woche in einem Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über das Eiltempo beim Betreuungsgeld beschwert. Die Regierung untergrabe „die Rechte des Par­laments auf eine sachkundige und ordnungsgemäße Beratung“. Der Protest blieb ohne Antwort – und die Reißleine die letzte Chance.