Kairo/Damaskus. . Derweil hat die Opposition einen neuen Chef gewählt: den Kurden Abdel Baset Sayda. Der 55-Jährige, der seit fast 20 Jahren in Schweden im Exil lebt, soll als Konsenskandidat die tief zerstrittenen Fraktionen der Assad-Gegner wieder zusammenführen.
UN-Vermittler Kofi Annan sieht schwarz. Syrien werde bald außer Kontrolle geraten, warnte der erfahrene Diplomat. Überall im Land toben heftige Kämpfe, am Wochenende lag die Innenstadt von Damaskus unter stundenlangem Beschuss. Noch nie zuvor seit Beginn des Volksaufstands vor 16 Monaten waren die Rebellen dem Machtzentrum des Assad-Regimes so gefährlich nahe gekommen.
Auf Videos aus der syrischen Hauptstadt sind ausgebrannte Busse zu sehen sowie ein innerstädtisches Kraftwerk, das durch eine Rakete beschädigt wurde. Andere Bilder zeigen den Beginn einer Kommandoaktion auf zwei Militärbusse, die offenbar in einen Hinterhalt geraten waren. Im Gegenzug griff die syrische Armee erneut die Städte Deraa und Homs an. Amateurvideos dokumentierten Artilleriesalven auf Wohnviertel beider Oppositionshochburgen. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen starben in Deraa mindestens 20 Menschen, in Homs 38. Heftige Gefechte wurden auch aus der Umgebung der Hafenstadt Latakia gemeldet. Nach Zählung der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London haben seit Beginn des Konflikts damit über 14 100 Menschen ihr Leben verloren.
Das Assad-Regime „pfeift aus dem letzten Loch und hat in mehreren Städten die Kontrolle verloren“, erklärte am Sonntag der frisch gewählte Chef des Syrischen Nationalrates (SNC), der Kurde Abdel Baset Sayda. Der 55-Jährige, der seit fast 20 Jahren in Schweden im Exil lebt, war von dem Dachverband der syrischen Opposition in Istanbul zum Nachfolger des vor drei Wochen zurückgetretenen Hochschullehrers Burhan Ghalioun gewählt worden. Er soll als Konsenskandidat die tief zerstrittenen Fraktionen der Assad-Gegner wieder zusammenführen. Vorgänger Ghalioun übte bei seinem Abgang noch einmal scharfe Kritik an der Haltung Russlands. Moskau müsse sich klar und eindeutig auf einen Rücktritt Assads festlegen, nur dann könne die Tür für eine politische Lösung des Konflikts geöffnet werden, sagte er. Der bisherige Chef der syrischen Opposition reagierte damit auf Äußerungen von Moskaus Außenminister Sergei Lavrov. Dieser hatte am Samstag eine internationale Syrienkonferenz vorgeschlagen, an der auch der Iran teilnehmen soll. Gleichzeitig aber bekräftigte Lavrov, Russland werde jeden Einsatz von Gewalt durch die internationale Gemeinschaft auch weiterhin blockieren.
Zerstrittene Opposition
Der neue syrische Oppositionschef Sayda kündigte derweil an, die Arbeit und Zusammensetzung des SNC von Grund auf zu reformieren. Der Vater von fünf Kindern gilt als moderat und konziliant im Umgang, politisch jedoch als wenig erfahren. Sayda gehört keiner der Oppositionsgruppen als Mitglied an. Bisher hat er sich lediglich als Spezialist für Zivilisationen des Altertums einen Namen gemacht sowie zahlreiche Fachbücher über die kurdische Minderheit publiziert. Trotzdem hoffen die Delegierten, dass er das gestörte Verhältnis des im Exil operierenden SNC zu den lokalen Oppositionsgruppen vor Ort in Syrien wieder reparieren kann.
Der innersyrischen Opposition, zusammengeschlossen zum Nationalen Syrischen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCCDC), gehören vor allem national gesinnte Oppositionelle an, aber auch Unabhängige und einzelne prominente Dissidenten, wie Michel Kilo und Aref Dalila. Anders als der Syrische Nationalrat (SNC) lehnt der NCCDC eine militärische Intervention von außen kategorisch ab und ist zu Verhandlungen mit Präsident Bashar al-Assad über einen schrittweisen Machttransfer bereit. Ihre Mitglieder werfen dem SNC vor, die Lage im Land und die Gefahren einer immer weiteren Bewaffnung der Rebellen völlig falsch einzuschätzen.