Essen. . Die Lage in Syrien spitzt sich immer weiter zu: Die Vereinten Nationen befürchten, dass die Unruhen auf die gesamte Region übergreifen. “Das Land gleitet immer weiter in den Bürgerkrieg ab“, sagt ein Nahost-Experte. Gleichzeitig warnt er jedoch vor einer militärischen Intervention.

Nach dem Massaker in der syrischen Ortschaft Hula haben die Vereinten Nationen das Assad-Regime erneut aufgefordert, die Gewalt zu beenden. Die Antwort kam prompt: Regierungstruppen setzten – nach Angaben von Beobachtern – den Beschuss der Stadt unvermindert fort. Treffender lässt sich die Hilflosigkeit der westlichen Staatengemeinschaft und die Ausweglosigkeit der Situation kaum illustrieren.

Die Lage in Syrien

„Das Land gleitet immer weiter in den Bürgerkrieg ab“, sagt Volker Perthes, Nahost-Experte und Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, der WAZ-Mediengruppe. „Syrien steht an einem kritischen Punkt. Entweder gelingt es jetzt, das Töten zu stoppen und einen politischen Prozess zu beginnen, oder es droht ein langer Bürgerkrieg“, analysiert Perthes die aktuelle Lage.

Die internationale Gemeinschaft verliert angesichts des Blutvergießens zusehends die Geduld. Frankreichs Präsident François Hollande und US-Außenministerin Hillary Clinton sprechen offen über eine militärischen Option. Und die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, brachte angesichts der Blockadehaltung Russlands und Chinas erstmals Schritte außerhalb der Vereinten Nationen ins Spiel. Die Staatengemeinschaft müsse darauf vorbereitet sein, dass der Konflikt in Syrien eine „massive Krise“ in der ganzen Region auslöst.

Die militärische Option

Die westlichen Regierungen haben in einer abgestimmten Aktion die Botschafter Syriens ausgewiesen. Damit sind die diplomatischen Sanktionsmittel ausgeschöpft. Vor einer militärischen Intervention wie in Libyen schrecken die Staaten zurück. „Niemand hat Interesse an einem neuen Krieg im Nahen Osten“, sagt Perthes. Allen beteiligten Mächten sei klar, dass man mit der Bombardierung einiger Stellungen und Bunker die Regierungstruppen nicht in die Knie zwingen könne.

Perthes: „Wenn das Ziel eines Militäreinsatzes ein besseres Syrien sein soll, müsste es eine Invasion geben. Damit erbt man aber zugleich die Verantwortung für das ganze Land.“ Nach den blutigen Erfahrungen im Irak schreckten die USA davor zurück. Und: Eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, die den Einsatz von Gewalt legitimiert, werde am Veto Russlands und Chinas scheitern, glaubt Perthes. Eine militärische Lösung sei nicht realistisch.

Die jemenitische Lösung

In einem ausgehandelten, friedlichen Übergang der Macht nach dem Vorbild des Jemen sieht Nahost-Experte Volker Perthes den derzeit einzig gangbaren Weg. Dort hatte Präsident Ali Abdullah Saleh nach blutigen Unruhen und langen Verhandlungen den Weg für einen Nachfolger frei gemacht. Übertragen auf Syrien ermöglichte dieses Szenario Präsident Assad einen Abschied auf Raten, er könnte auf diese Weise sein Gesicht wahren und sich zugunsten eines Übergangspräsidenten zurückziehen. Dieser Kompromiss könnte womöglich eine weitere Eskalation des Bürgerkriegs verhindern. „Diese Lösung hätte den Schönheitsfehler, dass Assad unbestraft bliebe. Doch was ist wichtiger als das Blutvergießen zu stoppen?“, fragt Perthes.

Weitere Sanktionen

Eine wichtige Voraussetzung für die „jemenitische Lösung“ ist allerdings noch nicht erfüllt: Assad müsste mitmachen. Perthes: „Er glaubt aber immer noch, dass er gewinnen kann.“ Um ihn vom Gegenteil zu überzeugen, müsste das Regime auch in der Region weiter isoliert werden. Zudem müsste ein echtes Waffenembargo, das derzeit von einigen Staaten unterlaufen werde, durchgesetzt werden. Auch die wirtschaftlichen Strafen sollten weiter verschärft werden.

Die Rolle Russlands

„Russland besitzt den Schlüssel für den Frieden“, ist Perthes überzeugt. Nur Moskau finde in Damaskus noch Gehör. „Die Russen wissen, dass Syrien am Ende ist. Aber sie befürchten, dass der Westen die strategischen Verhältnisse in der Region auf ihre Kosten verändern will“, analysiert Perthes. Diesen Gefallen wollen sie Europa und den USA nicht tun. Um in Syrien Fortschritte zu erzielen, müsse der Westen deutlich signalisieren, dass die Interessen Russlands respektiert werden. Der Besuch Putins in Berlin am heutigen Freitag wäre dafür eine gute Gelegenheit.