Wissenschaftlerin bezweifelt Erfolg der Neuregelung und mahnt eine bessere Aufklärung an. Die bisherigen Informationsbroschüren würden wichtige Themen ausklammer. Zudem befürchtet sie, dass durch die regelmäßige Befragung ein Überdruss an dem Thema entstehen könne.

Vera Kalitzkus bezweifelt, dass sich die Zahl der Organspenden durch die Reform deutlich erhöhen wird. Zwar begrüßt sie, dass die Menschen nun regelmäßig zu dem sensiblen Thema befragt werden und sich damit auseinandersetzen müssten. „Doch die Ängste werden durch das neue Gesetz nicht geringer werden“, sagt sie.

Kalitzkus ist Ethnologin am Institut für Medizin der Uni Witten/Herdecke. Seit Jahren erforscht sie die Organisation der Organspende in Deutschland, befragte Angehörige und Organempfänger und verfasste Bücher darüber („Dein Tod, mein Leben“, Suhrkamp 2009).

Hirntod-Kriterium

Kalitzkus bemängelt die mangelhafte Information der Bürger durch Krankenkassen und Behörden: „Was ich bisher an Aufklärungsmaterial gesehen habe, ist nicht geeignet, sich mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen.“ So fehle der Hinweis, dass das Hirntod-Kriterium auch unter Experten umstritten ist.

Auch würden die Menschen nicht aufgeklärt über die „emotionale Ausnahmesituation“, die sie am Bett eines hirntoten Angehörigen erwarten werde. „Der Mensch hängt an den Geräten, sein Herz schlägt, seine Brust hebt und senkt sich, er regt sich und ist warm.“ In dieser Lage eine Organentnahme zu erleben, ist schwer. Doch die Angehörigen müssten auf diese Situation vorbereitet werden und vorher wissen, „dass ein hirntoter Patient nicht unserer Vorstellung von einem Leichnam entspricht“.

Moralischer Druck

Die Medizinethikerin befürchtet zudem, dass die Reform den „moralischen Druck“, sich für eine Organspende zu entscheiden, erhöht. Das wiederum könnte als Abwehrreaktion Widerstand und Skepsis provozieren. Schon jetzt werde eine Organspende als Akt der Nächstenliebe erhöht, nur eine Zustimmung sei positiv und solidarisch. „Doch auch die Ablehnung der Organspende kann moralisch begründet sein“, sagt sie. Ihr Appell: Nur ein informierter und aufgeklärter Bürger kann für sich eine Entscheidung fällen – und dazu stehen.