Berlin/Düsseldorf. . Die Bundesregierung setzt neue Akzente in der Familienpolitik. Damit der Krippenausbau planmäßig verläuft, soll nun frisches Geld fließen. Ob das reicht, ist fraglich. Experten rechnen damit, dass die Nachfrage weiter steigt

Jetzt hat sich die Kanzlerin eingeschaltet. Merkel will, dass der Krippenausbau, das familienpolitische Prestigeprojekt der Koalition, ein Erfolg wird. Vor allem in Großstädten und Ballungsräumen sieht es im Moment allerdings eher wie ein Debakel aus: zu wenige Erzieher, zu wenige Gebäude und zu viele Hindernisse. Deshalb hat Merkel ihrer Familienministerin Grünes Licht gegeben für eine Finanzspritze aus Berlin. „Etwas spät“, findet Roland Schäfer, Bürgermeister in Bergkamen und Präsident des Städte- und Gemeindebunds.

Mit frischem Geld für die Länder und einem 10-Punkte-Programm will Familienministerin Kristina Schröder (CDU) retten, was zu retten ist: Wenn im August 2013 alle Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz haben, wird es vor allem in Großstädten Probleme geben. Schröders Aktionsprogramm umfasst deshalb Hilfen für Betriebskindergärten, die vorübergehende Lockerung von Baustandards und Umschulungsangebote. In den alten Bundesländern fehlen laut Ministerium noch mehr als 12 000 Erzieher – selbst wenn nur jedes dritte Kind einen Platz bekommen sollte. In Großstädten wie Dortmund oder Essen ist der Bedarf jedoch weit größer.

OB Baranowski warnt vor Klagewelle

Es wird eng. Das weiß auch NRW-Familienministerin Ute Schäfer (SPD): Sollten Großstadteltern erfolglos nach einem Krippenplatz in der Nähe suchen, „kann ich nur empfehlen, sich an das örtliche Jugendamt zu wenden“. Sie sei „zuversichtlich“, dass die meisten Fälle mit Hilfe von Tagesmüttern geregelt werden könnten. Und die drohende Klagewelle, vor der Gelsenkirchens OB Frank Baranowski warnt? Städtebund-Präsident Schäfer glaubt nicht, dass es dazu kommt. Aber zu vielen Zumutungen: Kita-Kinder könnten vorübergehend in leeren Schulen untergebracht, fehlende Erzieher durch Hilfskräfte im Sozialen Jahr oder aus dem Bundesfreiwilligendienst ersetzt werden.

Die Lage, so Schäfer, dürfte nach dem Inkrafttreten des Rechtsanspruchs sogar noch schwieriger werden: Derzeit rechnet die NRW-Landesregierung mit einem Bedarf von 144 000 Krippenplätzen. Das entspricht einer Betreuungsquote von 60 Prozent aller Zweijährigen und 35 Prozent der Einjährigen. Ab Sommer 2012 stehen landesweit 117 000 Plätze zur Verfügung - rund 84000 in Kitas und rund 33000 bei Tageseltern. Rechnerisch bleibt demnach ein Ausbaubedarf von 27000 Plätzen. Jedoch: Je mehr sich die U-3-Betreuung unter den Eltern herum spricht, desto mehr Eltern könnten sich dafür interessieren. „Die Nachfrage wird sich noch verstärken“, glaubt Städtebund-Präsident Schäfer. Die Politik sei „etwas blauäugig“ mit den Erwartungen der Eltern umgegangen. „Rechtsanspruch ist Rechtsanspruch.“

Die zweite Baustelle: Das Betreuungsgeld

Am nächsten Mittwoch will Ministerin Schröder in Berlin ihr Programm vorstellen, eine Woche später kommt das andere familienpolitische Großprojekt der Koalition ins Kabinett: Der Gesetzentwurf für das umstrittene Betreuungsgeld ist fertig, noch vor der Sommerpause soll der Bundestag darüber entscheiden. Dazu muss die Kanzlerin noch die unions-internen Kritikerinnen milde stimmen. Die neue Leidenschaft für den Kita-Ausbau kommt nicht von ungefähr.