Berlin. . Ex-Innenminister Beckstein tippte früh auf rechte Szene
Es geschah „direkt vor meiner Haustür“, erzählt Günther Beckstein. An den Blumenhändler Enver Simsek kann er sich erinnern: „Ein braver Mann.“ Als Beckstein am 12. September 2000 in der Zeitung vom Mord am Türken drei Tage zuvor liest, schreibt er mit grünem Filzstift auf den Artikel: „Bitte mir genau berichten, ist ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar?“
Grün ist die Farbe des bayrischen Innenministers, jeder im Haus weiß es, und der CSU-Mann ist eine Autorität: Fünf Jahre Staatssekretär, 14 Jahre Ressortchef. Nun wissen alle, dass der Fall für den Minister Priorität hat. „Sie hatten den richtigen Riecher“, bescheinigt ihm heute – zwölf Jahre später – die Abgeordnete Eva Högl. Es ist ein zwiespältiges Lob.
Beckstein ist nach Berlin in den Untersuchungsausschuss des Bundestages als Zeuge geladen worden. Simsek war, heute weiß man es, das erste Opfer einer rechtsextremen Mordserie, und der Ex-Minister muss sich Fragen von der SPD-Frau nach den Versäumnissen seiner Ermittler gefallen lassen.
Liste der Versäumnisse
Die Liste der Versäumnisse ist lang: Die Bayern haben fast nur im Freistaat recherchiert, obwohl sich die Blutspur über mehrere Länder erstreckte; ihr Verfassungsschutz nahm sich über ein halbes Jahr Zeit, um eine Anfrage der Polizei zu beantworten, zu lange; Becksteins Beamte blockten noch 2006 das Bundeskriminalamt vom Fall ab; und obwohl sie die Hypothese von einem rechtsextremen Hintergrund hatten, wollten sie damit nicht an die Öffentlichkeit gehen. „Er hatte Angst vor der Reaktion der türkischen Bevölkerung“, vermutet Hartfrid Wolff von der FDP. Er müsse sich „fragen lassen, ob er durch die Verschleierung eines fremdenfeindlichen Tatmotivs nicht die türkischen Mitbürger in falscher Sicherheit wiegte“.
Noch heute lässt Beckstein nichts auf seine Beamten kommen. „Wir haben Millionen Daten von Funkzellen überprüft, wir haben Zigtausende von Videobildern gerastert. Wir haben Tausende von Spuren und Personen überprüft.“ Nie fand sich eine Spur.
Protokoll des Scheiterns
Der Minister stellte nicht nur die richtigen Fragen, sondern schrieb mit 300 000 Euro auch die im Freistaat höchste Belohnung für Hinweise aus und setzte fast 200 Beamte auf den Fall an. Damit rechtfertigt er auch, ihn damals nicht an das BKA abgetreten zu haben.
Die Mehrheit der Beamten fahndete im Milieu der Organisierten Kriminalität. Aber ein Profiler vermutete einen Einzeltäter – mit rechtsextremem Hintergrund. Weil nach mehreren Morden zwei Männer auf Fahrrädern beobachtet worden waren, verwarf man die Einzeltäter-Theorie. Heute steht fest: Es war nicht einer, es waren zwei Täter. Rechtsextreme. Auf Fahrrädern. Und so gerät die Vernehmung zum Protokoll eines tragischen Scheiterns. „Es quält mich“, gesteht Beckstein.