Berlin. . Angela Merkel hat mit aller Härte durchgegriffen: Nachdem Umweltminister Norbert Röttgen nicht freiwillig gehen wollte, handelte Merkel. „Gnadenlos“, wie selbst die Opposition meint.

„Gnadenlos“. Mit diesem Wort twitterte SPD-Chef Sigmar Gabriel sein Urteil über das, was sich am Mittwoch in der Bundesregierung abspielte. Bundeskanzlerin Angela Merkel, der gerade von Gabriel noch Führungsschwäche vorgeworfen worden war, wird sich nun nach dem ungewöhnlichen Rausschmiss ihres Umweltministers wieder einmal mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, eine politische Männer-Fresserin zu sein. Friedrich Merz, Roland Koch, Christian Wulff, nun Norbert Röttgen - immer wieder, so wurde auch in der Union gestichelt, habe die CDU-Vorsitzende in ihrer Karriere mögliche Konkurrenten beseitigt.

Doch das dürfte diesmal Merkels kleinstes Problem sein. Die Überschrift über den Röttgen-Sturz lautet eher „Chronik eines angekündigten politischen Selbstmords“. Das hat niemand deutlicher gemacht als CSU-Chef Horst Seehofer, der in ungewöhnlicher Offenheit sein völliges Unverständnis darüber geschildert hatte, wie Röttgen als CDU-Spitzenkandidat gegen den Rat aller Parteifreunde eine Karriere-Festlegung auf Nordrhein-Westfalen verweigerte - und damit den Absturz seiner Partei auf ein historisches Tief verursachte. In dieser Analyse ist sich die Unions-Spitze ausnahmsweise einmal einig.

Zwei entscheidende Telefonate

Spätestens seit Sonntagabend um 18 Uhr wurden deshalb in Düsseldorf und Berlin die Messer gewetzt - ungeachtet öffentlicher Treuebekenntnisse von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe und seines früheren Kontrahenten Armin Laschet. Schon wer der CDU-Vorsitzenden am Montag beim gemeinsamen Auftritt mit Röttgen im Konrad-Adenauer-Haus zuhörte, spürte, dass etwas nicht stimmte. „Wir siegen gemeinsam und wir verlieren gemeinsam“, sagte Merkel zwar. Doch als die Kanzlerin über den Posten des Umweltministers sprach, nahm sie Röttgens Namen gar nicht mehr in dem Mund. Stattdessen betonte sie gewunden, dass sich „an der Aufgabenstellung, die wir haben...durch den gestrigen Tag nichts geändert hat“ und dass „eine Kontinuität der Aufgabenerfüllung“ nötig sei. Treuschwüre klingen anders.

Auch soll Merkel total sauer auf Röttgen gewesen sein. Grund seien die Äußerungen des CDU-Spitzenkandidaten in NRW gewesen, in denen er die Landtagswahl zu einer Abstimmung über den Euro-Kurs Merkels erklärte, hieß es am Mittwoch im Umfeld der Kanzlerin. Dass er damit die zu erwartende Niederlage praktisch auch zu einer von Merkel machte, soll die Regierungschefin auf die Palme gebracht haben. Merkel habe sich maßlos geärgert, sagte einer aus ihrem Umfeld. „Sie hat getobt“, erzählte ein anderer. Merkel habe Röttgens Vorgehen als Unverschämtheit empfunden, hieß es weiter.

Am Dienstag kam es dann nach Angaben aus Regierungskreisen zum ersten von zwei entscheidenden Telefonaten der beiden. Und in der Nacht zu Mittwoch reifte bei Merkel auch angesichts der desaströsen öffentlichen Kommentare die Entscheidung, dass ein personeller Neuanfang im Umweltministerium nötig ist. Röttgen galt überall nur noch als „lame duck“, mit der sie die schwierigen, kontroversen Entscheidungen zur Energiewende nicht mehr hätte durchsetzen können. Genervte Unionisten beklagten, dass die Opposition die CDU nun wochenlang vor sich her treiben könne. Aber zum ungewöhnlichen Rauswurf des Ministers kam es erst, als Röttgen in einem zweiten Telefonat mit Merkel am Mittwoch immer noch keine Konsequenzen ziehen wollte.

Jubel bei der CSU

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Nun wird in der bayerischen Regierungszentrale gejubelt, weil sich die CSU das Verdienst anheftet, den entscheidenden Anstoß für die von Seehofer eingeforderten Konsequenzen in der großen Schwesterpartei gegeben zu haben. Und in der CDU herrschte am Mittwochabend nach der ersten Überraschung über Merkels Schritt erst einmal Erleichterung. Immerhin hat die Führungsfigur der CDU handstreichartig und nach dem Aufstand der CDU-Ministerpräsidenten bei der Kürzung der Solarförderung gezeigt, dass sie noch zu harten Entscheidungen fähig ist. „Das war die notwendige Demonstration einer Alpha-Frau“, urteilte ein hoher Koalitionspolitiker - durchaus anerkennend. Und ein Regierungsmitglied glaubt gar, dass die Entlassung als heilsamer Schock die schwarz-gelbe Regierung nun erst einmal stabilisieren werde. Schließlich muss Merkel in den kommenden Wochen auch unpopuläre Entscheidungen wie das Betreuungsgeld durchdrücken und sich in der EU durchsetzen. Das geht nur mit Autorität.

Allerdings folgt der Lösung des einen Problems gleich das nächste. Denn mit der Ernennung des Saarländers Peter Altmaier hat Merkel nun den immer noch einflussreichen und größten Landesverband Nordrhein-Westfalen übergangen. Der liegt zwar nach der Wahlniederlage derzeit in Agonie danieder, hat aber noch nie zur Bescheidenheit geneigt. Allzu lang dürfte die Ruhe deshalb nicht anhalten. (rtr)