Düsseldorf.. Seit Christian Lindner in NRW die FDP führt, haben sich die Umfragewerte verdreifacht, der Einzug ins Parlament ist wieder möglich. Der Parteichef setzt nun auf eine starke Rolle in der Opposition
Christian Lindner ist gerade aus Berlin gekommen. Knitterfreier Anzug, fotogener Drei-Tage-Bart, ausgesuchte Höflichkeit. Die üblichen Gremiensitzungen mit FDP-Parteichef Philipp Rösler hat er sich gespart. Jetzt sitzt er hier in einem dieser schicken Düsseldorfer Hafen-Bistros vor einer Wand mit vielen kleinen Spiegeln. Ein interessantes Kaleidoskop: Je nach Blickwinkel bekommt man ein anderes Bild von ihm.
Lindner selbst sieht sich zurzeit so: Seit er vor zwei Monaten als Spitzenkandidat der NRW-FDP zurückkehrte auf die große politische Bühne, die er mit seinem vorweihnachtlichen Abgang als Röslers Generalsekretär im Bund so unvermittelt verließ, beackert ein bescheidener liberaler Vorarbeiter das ausgedorrte Feld des Wählervertrauens. Die Umfragewerte der NRW-FDP haben sich inzwischen verdreifacht, von zwei auf sechs Prozent, was am kommenden Sonntag den nicht mehr für möglich gehaltenen Wiedereinzug in den Landtag bedeuten würde.
Nach dem „Wunder von der Waterkant“ des streitbaren FDP-Frontmannes Wolfgang Kubicki am Sonntag in Schleswig-Holstein muss Lindner endgültig nicht mehr Hoffnung predigen, sondern schon wieder Demut. Bloß keine Fehler auf der Zielgeraden. Bislang tat Lindner so, als wäre der Personenkult um ihn eine absurde Erfindung „der Medien“. Als hätte jener thematische Dreiklang verdrossene Anhänger zurückgeholt, den seine Mitarbeiter im Schlaf singen können: Raus aus der Staatsverschuldung, Schutz des Gymnasiums, bezahlbare Energie. Als würde er niemals auf bürgerliche Wähler schielen, die vom personellen und inhaltlichen Wackelkurs der CDU verschreckt wirken. Als käme es allein auf einen neuen FDP-Stil und die Abkehr von schrillen Steuersenkungsversprechen an.
„Mit feuchten Händen“
Nachdem die Beerdigung also abgesagt ist, sieht sich Lindner nun mit einer Hochzeitsdiskussion zur Unzeit bedrängt. Steht die FDP für eine Ampel-Regierung zur Verfügung, wenn es rechnerisch nicht für Rot-Grün reicht? Lindner lächelt gequält über die „ausgedachte Debatte“. Hätten die Liberalen bei SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft unterschlüpfen wollen, wäre dazu seit 2010 zweimal Gelegenheit gewesen, bedeutet er. Stattdessen habe man „mit feuchten Händen“ die Hand für Neuwahlen gehoben.
Lindner will seine Partei nicht mehr „orthodox vernagelt“ sehen, verweist jedoch auf seinen Wahlaufruf: Bis 2017 soll der Landeshaushalt ausgeglichen sein. Mit „skeptischer Staatsfreundschaft“ wolle die FDP sparen und Sympathisanten aus bisherigen Stammwählern sowie „Vernünftige“ wie Friedrich Merz (CDU) und Wolfgang Clement (früher SPD) abholen. Mit Rot-Grün in NRW erscheint Lindner das schwer möglich, auch wenn ihn gestern „der seriöseste CDU-Politiker Oliver Wittke“ als „Steigbügelhalter“ für Rot-Grün attackierte.
Lindners Rechnung geht womöglich anders. Ihm käme eine Große Koalition aus Krafts SPD und der CDU des Sozialpolitikers Karl-Josef Laumann zupass. Die FDP könnte sich in der Opposition bis zur Bundestagswahl 2013 als wirtschaftspolitisches Gewissen profilieren, Fraktionschef Lindner entwickelte in Distanz zum angeschlagenen Parteichef Rösler sein eigenes Machtzentrum in NRW. Die Düsseldorfer Ausgabe der „Methode Kubicki“? Wer weiß. Das Kaleidoskop des Kandidaten regt zumindest wieder die politische Fantasie an.