Ein neues Grundsatzprogramm, das immerhin. Für die nächsten anderthalb bis zwei Jahrzehnte, soll darin über das „liberale Projekt“ alles Wissenswerte nachzulesen sein. Wenn denn die Leute so lange von solchen Projekten noch etwas wissen wollen. Ganz sicher scheint das derzeit nicht.
Hätte also die FDP mit einem Parteitag, wo solch langfristige Perspektiven zur Debatte standen, nicht einen Monat warten können? Bis ihr die Wähler einen Fingerzeig gegeben hätten, wie es weitergeht? Vielleicht nicht gleich mit dem Liberalismus. Gewiss aber mit dem Parteichef. Rösler schleppt sich ramponiert ins zweite Amtsjahr.
Wenn es eine Botschaft aus Karlsruhe gibt, dann diese: Nach nicht einmal zwölf Monaten wirkt er nur noch wie versehentlich auf seinem Posten. Er hat der Partei nichts mehr zu sagen, was sie überzeugen könnte. Sie hat sich längst zwei anderen Hoffnungsträgern zugewandt. Dem NRW-Liberalen Lindner, erst kürzlich aus dem Amt des Generalsekretärs desertiert, liegt sie heute zu Füßen. Wäre in Karlsruhe der Vorstand neu gewählt worden, am Ausgang hätte es kaum Zweifel geben können. Fraktionschef Brüderle, den Rösler vor einem Jahr vergebens aufs Abstellgleis zu schieben trachtete, überstrahlt ihn heute mit seinem Talent, liberale Seelen in Wallung zu versetzen. Und Rösler?
Er hat sich redlich bemüht, die FDP aus der Sackgasse mit dem Straßenschild „Steuersenkung“ herauszuführen. Sie droht jetzt aber in einer anderen Sackgasse zu landen: Röslers „Wachstums“-Tiraden finden nicht einmal in der eigenen Partei ungeteiltes Verständnis. Wie er in Karlsruhe über die „drei Säulen des Wachstums“ sinnierte, das hatte die Allüren eines Sektenpredigers. Auch die alte Hybris schimmert wieder durch, wenn sich die Vier-Prozent-Partei als treibende Kraft des Wachstums empfiehlt.
Wer am allein selig machenden Wachstum zweifelt, ist für Rösler ein Miesmacher. Grüne sind „Lebensstildiktatoren“. Wer so redet, hat mit der aufklärerischen Tradition des Liberalismus wenig zu tun. Er will die FDP als Partei des bürgerlichen Ressentiments.