Münster. Die NRW-Kommunen sehen gute Erfolgsaussichten für ihre Klage beim Verfassungsgerichtshof in Münster gegen die Beteiligung an den finanziellen Lasten der deutschen Einheit. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt der Kommunen, Jörg Wacker, sieht die Landesregierung in „erheblichen Rechtfertigungsnöten“. Derzeit sieht das Gesetz vor, dass die Kommunen 40 Prozent der Landeskosten für den Solidarpakt II tragen müssen. Die jährlichen Belastungen für das Land betragen 800 Millionen Euro.

Genia Nölle pustet erst einmal kräftig durch. Die Kulturdezernentin der Stadt Recklinghausen hat gerade zusammen mit weiteren Vertretern von NRW-Kommunen vor dem Landesverfassungsgericht in Münster eine einstündige, komplexe finanzwissenschaftliche Diskussion hinter sich gebracht. Dabei ging es darum, wie viel Geld das Land NRW bis 2019 auch noch von ihrer Stadt als Beteiligung für den Solidarpakt zu bekommen hat.

Eine Antwort, wie viel Euro Recklinghausen und alle anderen 396 NRW-Kommunen künftig anteilig noch bis 2019 in den Osten überweisen müssen, konnte ihr Michael Bertrams, Präsident des Landesverfassungsgerichts, zwar nicht geben. Dennoch fährt sie mit dem Gefühl zurück, dass es wohl weniger als die 2,5 bis 2,9 Millionen Euro werden könnten, die Recklinghausen jährlich bisher transferiert. „Die Verhandlung hat gezeigt, dass das Land das Gesetz mindestens nachbessern muss. Wir haben ein gutes Ergebnis erzielt und sind sehr zufrieden“, ist Nölle optimistisch.

Beschluss der Regierung Rüttgers

Zum Hintergrund: Nach dem Gesetz sind die Gemeinden bis zum Jahr 2019 zu rund 40 Prozent an den finanziellen Belastungen zu beteiligen, die sich für NRW aus der seit 1995 erfolgenden Einbeziehung der neuen Länder und Berlins in den bundesstaatlichen Finanzausgleich ergeben. Die jährlichen Belastungen für das Land NRW betragen 800 Millionen Euro.

Die schwarz-gelbe Landesregierung unter Jürgen Rüttgers hatte die Höhe der Beteiligungen der Städte im Einheitslastenabrechnungsgesetz NRW für die Jahre 2007 bis 2019 neu berechnet und 2010 auch so beschlossen.

91 Kommunen legten Beschwerde ein

Gegen diese Änderung haben 91 Städte und Gemeinden Verfassungsbeschwerde eingelegt. Für sie und die 142 weiteren Kommunen, die die Beschwerde mittragen, geht es um zwei Milliarden Euro, die ihnen aus ihrer Sicht unrechtmäßig zu Gunsten des Landeshaushalts entzogen werden.

Das Kernpunkt der Kläger: Das Land habe seinerzeit bei der Begründung der Berechnungsänderung drei der vier vereinbarten Stufen des Ausgleichs zwischen den Gebietskörperschaften nicht mit einbezogen. Dies verletze die kommunale Finanzausstattungsgarantie, weil es zu überhöhten Werten führe. Die Vertreter der Landesregierung sehen das anders und betrachten alle notwendigen Stufen als beachtet.

Richter folgt eher den Kommunen

An dieser Stelle machte Verfassungsrichter Michael Bertrams deutlich, dass er das komplizierte Thema nicht finanzwissenschaftlich, sondern nur juristisch bewerten könne. Dabei ließ er mehrfach durchblicken, der Sichtweise der Beschwerdeführer eher zu folgen als der Argumentation der Landesregierung: „Sie ist nicht nachvollziehbar.“

Der Anwalt der klagenden Städte, Jörg Wacker, führte aus, dass das 2010 veränderte Gesetz auf einer fiktiven Grundlage beruhe: Ohne die deutsche Einheit wäre NRW schon viel früher im Länderfinanzausgleich ein Nehmerland geworden. „Die dadurch entgangenen Einnahmen will man nun den Kommunen in Rechnung stellen. Wir begrüßen, dass das Gericht diese Argumentation nun in Frage gestellt hat“, so Wacker.

Änderungen abwarten

Das Urteil wird am 8. Mai gesprochen. Bis dahin will das für die Kommunen zuständige Innenministerium NRW abwarten und das Verfahren nicht kommentieren.

Aus Sicht von Claus Hamacher, Beigeordneter des Städte und Gemeindebunds NRW, wird dieser Tag dennoch keine endgültige Entscheidung bringen: „Wir werden abwarten müssen, ob und welche Hinweise das Gericht geben wird, um das Gesetz zu ändern und wie es im Anschluss ausgestaltet wird.“