Münster. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat beim CDU-Wahlkampfauftakt in Nordrhein-Westfalen am Montagabend die Rekordverschuldung der rot-grünen Landesregierung gerügt und den Strukturwandel gefordert. Die CDU hat denkbar schwierige Voraussetzungen. Laut einer Umfrage liegt die CDU gerade einmal bei 29 Prozent, die SPD dagegen bei 40.

Immer wieder grinst Norbert Röttgen in Richtung der Zuschauer, er nickt und wippt, als er der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zuhört, wirkt sichtlich zufrieden. Der Domplatz im westfälischen Münster vor ihm ist mit rund 3000 Unions-Anhängern gut gefüllt. Alles sieht nach einer würdigen Auftaktveranstaltung in dem Turbo-Wahlkampf aus, der in nur vier Wochen zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen führen wird. Sogar das Wetter spielt mit, weil der Regen aufhört, kurz bevor der CDU-Spitzenkandidat und die Bundeskanzlerin die Bühne betreten.

CDU liegt laut Umfrage gerade einmal bei 29 Prozent

 Einen gelungenen Start in die heiße Phase hat die Union im bevölkerungsreichsten Bundesland bitter nötig. Denn auch wenn Merkel und Röttgen bei ihrem einstündigen Auftritt demonstrativ von "dem künftigen Ministerpräsidenten nach dem 13. Mai" sprechen - die CDU hat denkbar schwierige Voraussetzungen. So hat Röttgens Zögern, ob er sich nun ganz NRW verschreiben oder im Falle einer Niederlage doch lieber Umweltminister in Berlin bleiben will, die Partei nach der Neuwahlentscheidung nicht gerade motiviert. In einer am Wochenende veröffentlichten Umfrage lag die CDU gerade einmal bei 29 Prozent, die SPD dagegen bei 40. Und Röttgen hinkt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft auch im persönlichen Vergleich weit hinterher. Einzige Hoffnung ist derzeit, dass die Stärke der Piraten ein rot-grünes Bündnis unmöglich machen wird.

Vielleicht liegt es an dieser Ausgangslage, dass nach einer Stunde Wahlkampfauftakt klar wird: Die vierwöchige Kampagne wird heftig und persönlich werden. Das liegt nicht nur an der Gruppe Jusos, die am Rande des Platzes mit schöner Regelmäßigkeit den Fußballruf "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin" verlauten lassen - als Spottgesang für den Bundesumweltminister.

Merkel rügte die Rekordverschuldung

Auch Röttgen und Merkel, die in ihrer Partei beide nicht gerade als politische "Holzer" gelten, bemühen starke Vokabeln, um die eigene Partei nach dem österlichen Urlaub wachzurütteln und in Wahlkampfstimmung zu versetzen. Röttgen haut SPD und Grünen gleich eine ganze Latte harter Vorwürfe um die Ohren - "schändlich" handelten die Sozialdemokraten, sie "täuschten", die Grünen verrieten ihr Prinzip der Nachhaltigkeit durch eine Schuldenpolitik. "Rotgrün ist zu einem inhaltsleeren Machtbündnis verkommen, das keine Legitimation mehr hat, weil es keine Inhalte vorweisen kann."

Merkel rügte die Rekordverschuldung der rot-grünen Landesregierung und forderte den Strukturwandel. "Die Landesregierung hat das Schuldenmachen zum Prinzip erklärt", sagte Merkel. NRW sei in den 1960er und 70er Jahren das industrielle Herz Deutschlands gewesen. Nun brauche das Land aber Arbeitsplätze für das 21. Jahrhundert.

Merkel: "Wir brauchen Kraft für Bildung"
 

Während Röttgen aber Ministerpräsidentin Kraft als mögliche Partnerin in einer großen Koalition noch schont und ihr unterstellt, sie glaube doch selbst nicht an die einfache Wirkung einer Verschuldungspolitik, wagt Merkel in Münster notgedrungen ein für sie eher ungewöhnliches Wortspiel. So warnt sie zunächst vor der wachsenden Konkurrenz von Indern und Chinesen. Als sie hinzufügt: "Damit wir besser sind als die, brauchen wir Kraft für Bildung", johlen die Jusos wegen der Doppeldeutigkeit begeistert. Merkel stutzt und fügt mit Hinweis auf den Namen der Ministerpräsidentin hinzu, es sei typisch, dass sich die Demonstranten "unter Kraft eine Frau vorstellen, aber überhaupt nichts mehr mit der Kraft für Bildung, einer Kraft für Haushaltssanierung, mit der Kraft für neue Ideen anfangen" könnten.

Ohnehin ist schnell klar, womit Röttgen und Merkel glauben, in NRW punkten zu können. Am Ende des Platzes hat die Junge Union einen riesigen aufblasbaren Schuldenberg installiert, für die Union Symbol einer verfehlten rot-grünen Haushaltspolitik. Und beide Redner arbeiten sich minutenlang am Thema Schulden ab. Merkel fordert eine Schuldenbremse in der Landesverfassung und warnt vor den europäischen Ländern, deren Verschuldung sie so sehr in die Arme der Finanzmärkte getrieben habe, dass sie gar nichts mehr selbst entscheiden könnten. Beide erklären eine Sparpolitik zum einzigen verantwortungsvollen Dienst für Kinder und Enkelkinder.

Unerwähnt bleibt dagegen in Münster die auch parteiinterne Irritation über Röttgens plötzlichen Vorstoß zur Anhebung der Pendlerpauschale, der den verkündeten Sparwillen etwa konterkariert. Statt dessen überhäufen sich Kanzlerin und ihr wahlkämpfender Minister mit Freundlichkeiten, auch wenn zwischen beiden zumindest auf der Bühne keine wirkliche Wärme aufkommen will.

Am Ende der Rede fordert Merkel die Zuhörer auf, "NRW" wirklich zu beherzigen - "Norbert Röttgen wählen". Als sie unter großem Applaus die Bühne verlässt, hat zumindest sie beim ersten ihrer neun NRW-Wahlkampfauftritte eines ihrer Ziele erreicht. Egal wie die Wahl in am 13. Mai ausgehen wird: Bei einem Debakel soll der CDU-Vorsitzenden niemand vorwerfen können, sie habe sich nicht ausreichend für den ewigen Kanzlerkandidaten-Anwärter Röttgen engagiert.