Essen. . Der Mangel an Senioren-gerechten Wohnungen in NRW nimmt immer größere Dimensionen an. Derzeit gelten nur etwa 100 000 der über acht Millionen Wohnungen in NRW als barrierefrei. Die Nachfrage steigt aber dramatisch. Zum Teil stehen Hunderte Bewerber auf den Wartelisten der Wohnungsgesellschaften.

Der Mangel an Senioren-gerechten Wohnungen in NRW nimmt immer größere Dimensionen an. Derzeit gelten nur etwa 100 000 der über acht Millionen Wohnungen in NRW als barrierefrei, das heißt: rundum geeignet für alte Menschen und Behinderte. Die Nachfrage steigt aber dramatisch. Zum Teil stehen Hunderte Bewerber auf den Wartelisten der Wohnungsgesellschaften im Ruhrgebiet.

Verbände wie der Sozialverband Deutschland (SoVD) schlagen Alarm. „Der Mangel ist heute schon eklatant. Experten gehen davon aus, dass bis 2030 fast drei Millionen solche Wohnungen in NRW neu gebaut werden müssten“, sagte SoVD-Sprecherin Michaela Gehms zur WAZ. Gerade Rollstuhlfahrer sind betroffen. Für sie gibt es so gut wie keinen geeigneten Wohnraum im Land, weil sie auch kleinere Hindernisse wie Schwellen und einzelne Stufen nicht allein überwinden können.

750 Bewerber auf eine Wohnung

Wohnungsgesellschaften, wie die Dogewo 21 und der Spar- und Bauverein in Dortmund, die viel Geld in den Abbau von Barrieren investieren, können sich vor Interessenten für Wohnungen mit breiten Türen, Rampen und geräumigen Bädern kaum retten. „Die Nachfrage ist gigantisch. Für eines unserer Neubauprojekte in der Innenstadt haben wir die Bewerberliste bei 750 geschlossen, um nicht zu viele zu enttäuschen“, erklärt Ulrich Benholz von „Spar und Bau“.

Das Problem trifft Ballungszentren und den ländlichen Raum gleichermaßen. „Der Wohnungsbestand in Meschede ist für Menschen mit schweren Einschränkungen so gut wie nicht geeignet. Von außen sind alle Häuser nur über Treppen zu erreichen“, bestätigt Manfred Breider vom dortigen Seniorenbeirat.

„Mit Neubauten können wir diese Probleme nicht lösen. Es muss in den Bestand investiert werden“, sagen Susanne Tyll und Petra Bank von der Ar­beitsgemeinschaft Wohnberatung NRW. Doch das Förderprogramm des Landes für den altersgerechten Umbau von Wohnungen (Bestandsinvest) scheint für Hausbesitzer nicht sehr attraktiv zu sein. Das Amt für Wohnungswesen in Düsseldorf erklärt, dass dort im letzten Jahr nur Anträge für 15 Wohnungen gestellt wurden. In der Landeshauptstadt sind lediglich 1,5 Prozent der 300.000 Wohnungen „barrierearm“.

Eine Altenwohnung ist wie ein Lottogewinn

Haben Sie schon mal eine Erdgeschosswohnung gesucht? Eine ohne Treppenstufen vorm und im Haus, mit breiten Türen und einem Bad, in dem man die Arme ausstrecken kann? Dann werden Sie wissen: Diese Wohnungen gibt es praktisch nicht. Es gibt große und kleine, schlichte und komfortable und sogar immer mehr wärmegedämmte Wohnungen. Aber so gut wie keine ohne Hindernisse. Wer es schafft, ein barrierefreies Heim zu ergattern, sollte Lotto oder Poker spielen. Der ist ein echter Glückspilz.

Toni Krüger (Name v. d. Red. geändert) ist kein Glückspilz. Der Dortmunder sitzt im Rollstuhl und sucht seit zwei Jahren eine geeignete Wohnung. Dutzende Angebote hat der 47-Jährige gesichtet, aber kein einziges passt. Krüger fühlt sich ausgesperrt. Ihn nerven Stufen, Schwellen, schmale Türen. Um anständig wohnen zu können, müsste er reich sein. Ist er aber nicht.

In NRW fehlen Millionen Seniorenwohnungen

In NRW fehlen heute schon Millionen Wohnungen für Senioren und Leute mit Handicap. Das Problem dürfte dramatisch zunehmen, denn die Bevölkerung wird im Schnitt älter. „In einem Drittel unserer Wohnungen lebt mindestens ein Mieter, der über 60 ist. In zehn Jahren wird das auf jede zweite Wohnung zutreffen“, sagt Regine Stoerring von der Dortmunder Gesellschaft für Wohnen (Dogewo 21).

Irmgard und Hans-Dieter Schwaerzel gehören zu den wenigen Glückspilzen. Ihre neue gestaltete Wohnung der Dogewo im Dortmunder Kreuzviertel ist nicht perfekt für Senioren, aber um Welten besser als ihre alte im 3. Stock. Irmgard Schwaerzel (74) „hat es mit den Bronchien“, Ehemann Hans-Dieter (73) ist schwer erkrankt und kommt ohne Rollator nicht mehr klar. „Was hab’ ich mich gequält mit den Einkaufstaschen auf der Treppe“, erinnert sich die Seniorin. Ein paar Stufen muss sie auch im neuen Zuhause überwinden. Aber das Bad ist groß, und die Türen sind breit. „Ich fühl’ mich sauwohl“, versichert die Dame. Viele andere in NRW fühlen sich in ihren vier Wänden hundsmiserabel.

„Wir hatten im letzten Jahr 700 Anfragen“, erzählt Petra Bank vom Verein für Gemeinwesen und Sozialarbeit Kreuzviertel in Dortmund. Bank berät seit 20 Jahren Wohnungsuchende. Heute sind es mehr denn je, die ein barrierearmes Zuhause suchen und es nicht ohne Hilfe finden.

Der Umbau ist teuer

Wahr ist: Der Umbau von alten, engen in moderne, Senioren-gerechte Wohnungen ist teuer. Private Immobilienbesitzer scheuen dieses Wagnis. Viele große Wohnungsgesellschaften auch. Vor allem jene, die als „Heuschrecken“ bekannt sind, und beim Vermieten nur an die Rendite denken. Nur Unternehmen und Genossenschaften, die sich auch als soziale Dienstleister verstehen, handeln anders. 20.000 Euro investieren Gesellschaften wie die Dogewo 21, der Spar- und Bauverein in Dortmund oder die Siedlungs- und Baugenossenschaft Meschede im Schnitt in den Umbau einer Wohnung. „Von unseren 16.000 Wohnungen sind 800 umgebaut worden. Ziel ist ein Anteil von zehn Prozent in den nächsten zehn Jahren“, sagt Regine Stoerring.

Eine barrierefreie Wohnung nach DIN mit 1,50 Meter Bewegungsfreiheit für Rollstuhlfahrer kommt bei den Umbauten selten heraus. Die Mieter freuen sich schon über wenig: ein Senioren-gerechtes Bad, zum Beispiel, mit bodengleicher Dusche, Haltegriff neben der Toilette und etwas mehr Bewegungsfreiheit. Oder über einen Handlauf an der Treppe. Häuser aus den 1950er-, 60er- oder gar aus den 1930er-Jahren widerstehen jeder Norm. Ohne Stufen geht’s hier nicht. Wer das ändern möchte, müsste abreißen und neu bauen.

Eigentlich haben Mieter ein Recht auf die altersgerechte Ausstattung ihrer Wohnung. Aber mit dem Recht ist das so eine Sache. Denn Vermieter müssen Umbauten nicht bezahlen und Mieter lange mit ihren Versicherungen über die Kosten verhandeln. „Vermieter können auch auf einem späteren Rückbau bestehen“, erklärt Susanne Tyll von der Landesarbeitsgemeinschaft Wohnberatung. Und viele bestehen tatsächlich darauf, sagt sie: „Das ist eigentlich unglaublich, wenn der Rückbau einer bodengleichen Dusche gefordert wird. Die verbessert doch den Komfort der Wohnung.“ Moderne, hochwertige Bäder seien alle so ausgestattet. Aber das, so Tyll, habe sich noch nicht herumgesprochen.

Lieber Bargeld als Darlehen

Wer eine barrierearme oder gar -freie Wohnung sucht, sollte sich an die Landesar­beitsgemeinschaft LAG Wohn­beratung NRW wenden, im Internet unter wohnberatungsstellen.de zu finden.

Büros, die mit der LAG verbunden sind, gibt es unter anderem in Dortmund (Kreuzviertel-Verein), Duisburg (Amt für Soziales und Wohnen) und Essen (Wohnberatung der Stadt). Das Förderprogramm „Bestands-Invest“ des Landes NRW gewährt günstige Darlehen zur Verbesserung von Wohnangeboten insbesondere für ältere und pflegebedürftige Menschen.

Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) macht solche Angebote, zum Beispiel ab sofort das neue Programm „Altersgerechtes Haus“.

Doch Experten wissen, dass Bürger in der Regel nur ungern Darlehen in Anspruch nehmen. In Düsseldorf wurden im letzten Jahr nur 15 Anträge für „Bestands-Invest“ gestellt, rechnet das dortige Wohnungsamt vor. „Besser werden direkte Zuschüsse angenommen“, sagt LAG-Sprecherin Susanne Tyll. So gibt die reiche Landeshauptstadt Eigentümern, die ihre Wohnungen Senioren-gerecht umbauen, bis zu 6000 Euro. Über 200 Düsseldorfer nutzten dieses Angebot im letzten Jahr.