Berlin. . Spezielle Langzeit-Pläne unterstützen ehemalige Neonazis beim Neubeginn. Zwischen 2000 und 2011 sind rund 550 Rechtsextremisten mit Hilfe von zwei bundesweiten Programmen aus der Szene ausgestiegen. Doch die Strategie muss langfristig sein.

20 Jahre gehörte sie der rechtsextremistischen Szene an, dann entschloss sich Tanja P. zum Ausstieg. Die Mutter von fünf Kindern musste regelrecht flüchten, dreimal wechselte sie den Wohnort, aber bis ins Krankenhaus spionierten ihr Rechtsextremisten hinterher. „Wenn ich darüber nachdenke, was ich getan habe, bin ich geschockt“, sagt die heute 40-Jährige über ihre Karriere in Neonazi-Organisationen.

1100 Anrufer

Lange nach ihrem Ausstieg fühlte sie sich noch gejagt von ihren früheren Gesinnungsgenossen. Gelungen ist der Neuanfang nur durch die Hilfe des vom Bund unterstützten Aussteigerprogramms Exit.

Tanja P. ist nicht der einzige Fall, in dem staatliche und nichtstaatliche Organisationen früheren Neonazis den Neubeginn ermöglichten – mit Hilfe beim Job- und Wohnungswechsel, mit Beratung und psychologischer Betreuung. Neue Zahlen des Bundesinnenministeriums belegen: Allein die beiden großen bundesweiten Aussteigerprogramme haben zwischen 2000 und 2011 rund 550 Rechtsextremisten zum Ausstieg aus der Szene bewegt.

Ein 2001 gestartetes Programm des Bundesamtes für Verfassungsschutzes begleitete demnach etwa 110 Menschen aus der Szene, allerdings mit zuletzt stark rückläufiger Tendenz. Dennoch spricht die Bundesregierung von einem „nachhaltigen Präventionsinstrument“. Rund 1100 Anrufer seien in den vergangenen zehn Jahren gezählt worden. „Jeder, der das Ausstiegsangebot annimmt, ist für uns ein Erfolg“, sagt ein Ministeriumssprecher.

„Wo Jugendzentren schließen, öffnet man die Tür für Neonazis.“

Exit gelang es sogar, bis vergangenes Jahr 434 Ausstiegswillige aus der Szene zu lösen. Die unserer Zeitung vorliegenden Zahlen hat das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage der Linke-Bundestagsfraktion zusammengestellt. Deren Innenexpertin Ulla Jelpke mahnt nun, die nichtstaatlichen Initiativen, die erfolgreicher seien als Angebote des Verfassungsschutzes, müssten auch langfristig gefördert werden. Die Rückfallquote ist gering: Bei Exit kehrten nur neun Neonazis zurück in die Szene, so das Bundesinnenministerium. „Besonders gefährdet sind Frauen und Kinder, hier scheint ein gesicherter Ausstieg nur bei Umstrukturierung der Sorgerechtsprechung möglich.“ SPD-Innenexperte Michael Hartmann meint: „Die Programme helfen, wenn sie eingebettet sind in fürsorgliche Betreuung.“ Er mahnt aber auch, ebenso wichtig wie Ausstiegshilfen sei es, den Einstieg zu verhindern: „Wo Jugendzentren schließen, öffnet man die Tür für Neonazis.“

Parallel zu den bundesweiten Initiativen bieten auch Bundesländer Ausstiegshilfen an. So ist in NRW 120 früheren Neonazis über das Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes der Absprung aus der Szene gelungen. Mehr als jeder Zweite der Aussteiger sei zuvor wegen rechtsextremistischer Straftaten in Haft gewesen, so das NRW-Innenministerium. Zu den Betreuten gehörten demnach sogar frühere Neonazi-Funktionäre. Aus Sicht von Innenminister Ralf Jäger (SPD) leistet das vor über zehn Jahren gestartete Hilfsangebot einen wichtigen Beitrag, um die „braune Szene strukturell zu schwächen“. Nötig sei langfristige Unterstützung, weil das rechtsextremistische Umfeld großen Einfluss auf die Aussteiger ausübe.

Eine Panne musste die Landesregierung Anfang des Jahres eingestehen. Unter dem Etikett des Aussteigerprogramms war ein V-Mann jahrelang vom Verfassungsschutz eingesetzt worden, um Informationen aus der Szene abzuschöpfen. Ein Tauschgeschäft „Hilfe gegen Informationen“, rügte Jäger damals, dürfe es bei dem Programm nicht geben.