Tel Aviv. . Das Einreiseverbot der israelischen Regierung gegen Nobelpreisträger Günter Grass hat eine kontroverse Debatte in Deutschland ausgelöst. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) nannte die Reaktion auf das umstrittene Gedicht des Schriftstellers „völlig überzogen“. Grass hatte Israel in seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ vorgeworfen, mit seiner Iran-Politik den Weltfrieden zu bedrohen. Israel verhängte daraufhin ein Einreiseverbot gegen den Schriftsteller.

Günter Grass’ Bücher wurden zwar auf Hebräisch übersetzt, aber nichts hat den deutschen Dichter in Israel so bekannt gemacht wie der Aufruhr über sein Gedicht „Was gesagt werden muss“.

Dennoch wird Grass in naher Zukunft wohl kaum zu einer Lesereise nach Israel kommen: Nachdem Premier Benjamin Netanjahu das Gedicht scharf verurteilt hatte, legte Innenminister Eli Jischai am Wochenende nach und belegte den Dichter mit einem Einreiseverbot: „Es gibt nichts Schlimmeres, nichts Erschütternderes als die Aussagen ei­nes solchen Antisemiten“, sagte Jischai im israelischen Staatsradio.

Allgemeine Empörung

Zwar habe Grass seines Wissens gar keine Pläne, in naher Zukunft nach Israel zu reisen: „Ich betrachte es aber als Privileg, derjenige sein zu können, der ihm den Eintritt nach Israel verwehrt“, sagte Minister Jischai.

Sein Beschluss ist Ausdruck allgemeiner Empörung. Die Be­drohung durch Irans Atomprogramm erscheint hier so prekär, dass Makler inzwischen von Schwierigkeiten berichten, Wohnungen ohne Luftschutzbunker zu vermarkten. Israelis erscheint jeder Versuch, die Gefahr aus dem Iran kleinzureden, absurd und weltfremd. Doch die Umkehr, die Grass in seinem Gedicht vornahm, indem er Israel und nicht die Vernichtungsdrohungen aus dem Iran zum Aggressor machte, wirkte hier mehr als befremdend: Viele Israelis betrachten Grass’ Gedicht als Hetzpropaganda.

Falsche Anschuldigungen

Für Juden, die in diesen Tagen das Pessach-Fest feiern, reiht sich Grass’ Lyrik mühelos in eine lange Liste antisemitischer Verfolgungen der Vergangenheit ein: Grass’ Anschuldigung, Israel wolle das iranische Volk auslöschen und mit dem daraus resultierenden Krieg ganz Europa in Mitleidenschaft ziehen, wurde in Israel als moderne Fassung der mittelalterlichen Vorwürfe der Kirche aufgefasst, Juden ermordeten christliche Kinder, um mit ihrem Blut Matze, ein spezielles Brot, zuzubereiten.

Innenminister Jischai sagte, der Dichter bringe „falsche An­schuldigungen gegen das Volk Israel vor“ und schüre damit „mehr und mehr Hass“. Jischai sprach von Rufmord: „Volksverhetzung und Antisemitismus sind nicht durch Meinungsfreiheit geschützt“, sagte er und schlug vor, Grass solle seine falschen Thesen im Iran verbreiten, „wo ihn ein aufnahmebereites Publikum erwartet“.

Wahlkampf lässt grüßen

Die Einreiseverweigerung blieb nicht ohne Kritik: „Ich kann nicht verstehen, wie Grass so einen Unfug schreiben kann“, sagte der ehemalige Außenminister Jossi Beilin im Gespräch mit unserer Zeitung. „Aber ihm die Einreise zu verweigern, ist kaum hilfreich und verärgert nur diejenigen, die mit uns gegen Grass stehen. Ich würde ihn frei einreisen lassen, ihn aber hier mit der Wahrheit konfrontieren.“

Jenseits authentischer Empörung könnte der Aufruhr politische Gründe haben. Israels Politiker richten sich auf vorgezogene Neuwahlen ein. Die Affäre Grass bietet ihnen die Gelegenheit, sich publikumswirksam zu inszenieren: „Grass’ Gedicht ist Ausdruck des Egoismus europäischer Intellektueller, die bereit sind, das jüdische Volk auf dem Altar verrückter Antisemiten zu opfern, nur um ein paar Bücher mehr zu verkaufen“, schimpfte Außenminister Avig­dor Lieberman. Innenminister Jischai, Vorsitzender ei­ner rivalisierenden Partei, konnte da nicht hintanstehen.

Mitglied der Waffen SS

Jischais Mediensprecher Ohad Jeheskeli war im Gespräch mit unserer Zeitung jedoch bemüht, die Entscheidung in ein anderes Licht zu rücken: „Das Einreiseverbot wurde nicht wegen des Gedichts erlassen. Israel will weiterhin Meinungsfreiheit verteidigen, auch die seiner Kritiker. Grass darf nicht einreisen, weil er Mitglied der Waffen-SS war. Das Gedicht war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Aber man kann uns doch nicht zwingen, ein ehemaliges, freiwilliges Mitglied der Waffen-SS willkommen zu heißen.“