Essen/Emden. . Im Internet gab es Lynch-Aufrufe, vor der Emder Polizei rotteten sich schon „Rächer“ zusammen. Nun hat sich der 17-jährige „Mörder“ als unschuldig erwiesen. Und die Polizei ist sicher, nichts falsch gemacht zu haben.

Ein Geständnis des Verdächtigen im Mordfall Lena hat es nie gegeben. Nur „widersprüchliche Aussagen“, „Indizien“ und „kein Alibi“. So etwas reicht in Deutschland „für dringenden Tatverdacht“ und damit für einen Haftbefehl. Im Internet aber schon für ein Urteil und den Aufruf zur Lynchjustiz. Doch nun ist der 17-jährige Berufsschüler wieder auf freiem Fuß. „Aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse steht fest, dass er als Täter auszuschließen ist“, heißt es in der Mitteilung. Von Fehlern bei den Ermittlungen ist nicht die Rede

Vergangenen Dienstag sind sie gekommen. In Uniform und in größerer Gruppe schellt die Polizei am frühen Abend an der Tür eines verklinkerten Mehrfamilienhauses in Emden, das nur 500 Meter von der Stelle entfernt steht, an der wenige Tage zuvor die Leiche der kleinen Lena gefunden wurde.

Als sie wieder aus dem Haus kommen und einen jungen Mann in Handschellen abführen, stehen bereits viele Schaulustige auf dem Bürgersteig und irgendjemand hat ein paar Fotografen angerufen. Und der Festgenommene ist noch nicht auf der Wache, da kursiert sein Name bereits auf Facebook. Nicht mit dem Zusatz „mutmaßlicher Täter“, sondern als „Mörder“.

Indizien widerlegt

Doch es wird noch schlimmer. In der Nacht zu Mittwoch versammeln sich rund 50 Menschen vor der Polizeiwache, in der der Verdächtige verhört wird, um das Recht selbst in die Hand zu nehmen. Ein 18-jähriger Facebook-Nutzer hat zur Selbstjustiz-Kampagne aufgerufen. „Lasst uns die Polizei stürmen und den Kerl rausholen.“ Was dann mit ihm passieren soll, ist schnell klar. „Hängt ihn auf, steinigt ihn“, skandiert die Menge. Erst in den Morgenstunden bekommen die Beamten die Lage vor ihrer Tür in den Griff. Über Stunden seien die Ermittler von einer aufgebrachten Menschenmenge bei ihrer Arbeit erheblich gestört worden, klagt der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut: „Das ist nicht hinnehmbar.“

„Ich bitte darum, von Vorverurteilungen abzusehen“, mahnt der Auricher Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck einen Tag später verärgert. Bei der Polizei bleiben sie nicht so freundlich, sprechen von „Wild West-Methoden“ und „Lynchjustiz“, die man hart verfolgen werde. Was Facebook-Nutzer nicht daran hindert, kurz darauf neue Namen durch das Internet zu jagen und sie mit dem Verbrechen an Lena in Zusammenhang zu bringen.

„Vieles spricht gegen ihn“

All das, hat Martin Lammers, Leiter des zentralen Kriminaldienstes, in diesen Tagen geklagt, mache „es nicht gerade leichter, sich auf den Fall zu konzentrieren“. Trotzdem wirken die Fahnder auf einer großen Pressekonferenz am Donnerstag ziemlich überzeugt, den richtigen Mann erwischt zu haben. Kein Alibi, widersprüchliche Aussagen – vieles spreche gegen den Teenager, der mittlerweile in der JVA Vechta einsitze, sagen sie. Grundsätzlich aber, betonen die Beamten auch, gelte natürlich erst einmal noch die Unschuldsvermutung.

Gestern Morgen wird aus der Vermutung Gewissheit. „Die Indizien sind durch Fakten widerlegt worden“, beschreibt es Oberstaatsanwalt Südbeck etwas nebulös, als er gestern Mittag vor die Kameras und die wartenden Journalisten tritt. Fehler, beteuert er, seien aber nicht gemacht worden. „Es wurde zu jeder Zeit richtig gehandelt.“

Erste Entschuldigungen

Bei Facebook gibt es gestern schnell die ersten Entschuldigungen. Aber auch die Erkenntnis, dass sie wohl nichts bringen werden. „Der 17-Jährige wird es jetzt nicht leicht haben“, mutmaßt ein Nutzer. Wahrscheinlich soll deshalb zunächst auch niemand wissen, wo er ist. „In Betreuung und Obhut“, ist alles, was die Polizei verrät. „Für seine Sicherheit“, verspricht Südbeck, „ist gesorgt.“