Washington.. Der oberste Gerichtshof der USA hat erhebliche Zweifel daran, ob Barack Obamas Gesundheitsreform verfassungsgemäß ist. Das Vorzeigeprojekt des Präsidenten soll ab 2014 allen Amerikanern zu einer Krankenversicherung verhelfen. Die Entscheidung könnte die Präsidentenwahl stark beeinflussen.
Vor den 16 prunkvollen Säulen des Obersten Gerichtshofs in Washington konnte man sie in dieser Woche wieder besichtigen, die zwei unversöhnlichen Amerikas. Auf der einen Seite Anhänger von Präsident Barack Obama und dessen Gesundheitsreform, die ab 2014 rund 45 Millionen bisher nicht versorgten Amerikanern zu einer Krankenversicherung verhelfen soll. Auf der anderen Seite wütende Republikaner und deren Sympathisanten aus der Tea-Party-Bewegung, die darin den erste Schritt in den Sozialismus erkennen.
Drinnen im holzgetäfelten Saal des “Supreme Courts” munitionierten sich bis Mittwochnachmittag neun auf Lebenszeit ernannte Top-Juristen für die voraussichtlich im Juni anstehende Entscheidung, wie mit dem Herzstück der ersten Präsidentschaft Obamas umzugehen ist. 26 Bundesstaaten und ein Unternehmerverband sehen in der Bevölkerung unbeliebten Reform, die vor zwei Jahren mit knapper parlamentarischer Mehrheit durch den Kongress kam, eine historische Zäsur.
Konservative Richter ließen Skepsis an Rechtmäßigkeit der Reform erkennen
Nahezu alle Bürger dazu zu zwingen, eine Krankenversicherung abzuschließen oder pro Person jährliche Bußgelder von 700 Dollar zu zahlen, verstoße schlicht gegen die Verfassung, sagte Klage-Vertreter Paul Clement. Donald Verrilli, Anwalt der Regierung, hielt dem entgegen, der Zentralstaat habe sehr wohl das Recht, das Gesundheitswesen auch in den Bundesstaaten so zu regulieren, dass alle Menschen im Falle einer Erkrankung abgesichert sind. Im Verlauf der dreitägigen Anhörung ließen insbesondere die fünf konservativen Richter tiefe Skepsis an der Rechtmäßigkeit der 2500 Seiten starken Reform erkennen, die künftig privaten Krankenversicherungen untersagt, Patienten mit Vorerkrankungen abzuweisen oder ihnen exorbitant teure Prämien abzuverlangen.
Antonin Scalia, der wortmächtige Hardliner der konservativen Richtergruppe, bediente sich beißenden Spotts. Er sieht die Freiheitsrechte des einzelnen massiv bedroht und stellte in den Raum, dass der Staat künftig dann auch allen Menschen vorschreiben könne, etwa Brokkoli zu essen. John Roberts, Vorsitzender Richter, ersetzte Brokkoli mit dem Zwang zum Handy-Kauf. Ihre Botschaft: Wehret den Anfängen! Amerika will kein Sozialstaat europäischer Prägung werden!
Gesundheitsbudget liegt bei fast 1000 Milliarden Dollar im Jahr
Als Alarmsignal für den Bestand der Reform wurde von Beobachtern wie dem CNN-Rechtsexperten Jeffrey Tobin gewertet, dass sich mit Anthony Kennedy auch der einzige ideologisch nicht eindeutig zu verortende Richter unüberhörbar negativ geäußert hat. Das Verhältnis zwischen Staat und Individuum würde „auf fundamentale Weise geändert“, sagte er. Die vier liberalen Richterinnen und Richter betonten dagegen es sei rechtmäßig, wenn der Staat einen lange Jahre beklagten Missstand abschafft: Die enormen Kosten, die entstehen, wenn Millionen Amerikaner ohne Versicherung im Notfall ärztliche Versorgung benötigen, werden regelmäßig auf die Gemeinschaft umgelegt. Das Gesundheits-Budget der USA liegt bei fast 1000 Milliarden Dollar im Jahr, Tendenz steigend.
Obamas Ansatz, alle Amerikaner mit Ausnahme der ganz Armen, die komplett staatliche Hilfe beanspruchen, an der Rechnung für das Gesundheitswesen zu beteiligen, sei mit der Verfassung sehr wohl zu vereinbaren, erklärten die Richterinnen Sonia Sotomayor und Elena Kagan. Rechtsexperte Tobin betonte gestern, die endgültige Entscheidung des Gerichts, die hinter verschlossenen Türen fällt, sei trotz der Vorzeichen definitiv noch nicht absehbar. Möglicherweise werde die Reform nur in Teilen beanstandet.
Entscheidung könnte die Präsidentenwahl im November beeinflussen
Der Ausgang der Entscheidung könnte die Präsidentenwahl am 6. November gleichwohl stark beeinflussen. Kippen die Richter das Gesetz, bringen sie dem Amtsinhaber im Weißen Haus eine empfindliche Niederlage bei. Der aussichtsreichste Kandidat der Republikaner, Mitt Romney, hat für den Fall seines Sieges bereits die Abschaffung der landläufig als “Obamacare” bezeichneten Reform angekündigt. Ironie dabei: Als Gouverneur von Massachusetts lieferte der Multi-Millionär mit einem Gesetz im kleinen Maßstab die Blaupause für das, was Obama landesweit installieren will.