Berlin.. Bundespräsident Joachim Gauck hat die Deutschen zu mehr Selbstbewusstsein aufgerufen. In seiner ersten Grundsatzrede betonte der Theologe am Freitag, er wolle sich für eine offene Gesellschaft einsetzen und das Werben seines Vorgängers Christian Wulff für eine bessere Integration fortsetzen. Das Staatsoberhaupt zeigte sich überzeugt, dass die Bundesrepublik wehrhaft gegen Feinde der Demokratie sei.
Wann zuletzt hätte es im Bundestag so wuchtig geklungen? „Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein, unsere Demokratie aber wird leben.“
So klingt es, wenn Joachim Gauck mit dem Rechtsextremismus ins Gericht geht. Unter der Reichstagskuppel hören vier Alt-Bundespräsidenten zu. Drunten im Plenum Christian Wulff. Auf der Tribüne Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Horst Köhler.
„Unser Land“
Und unter den Gästen findet sich auch der 90-jährige ehemalige Auschwitz-Häftling und Bürgerrechtler Wladyslaw Bartoszewski, ein in Deutschland ruhmreicher Vertreter Polens. Es ist kurz nach halb zehn am Morgen. Gerade ist Gauck als elfter Bundespräsident vereidigt worden.
Dies also ist seine zweite Rede im Amt, die erste große, an die sich die Erwartung programmatischer Verheißungen knüpft. Am Sonntag nach seiner Wahl hat Gauck eine kurze Ansprache an die Bundesversammlung mit dem Aufruf beendet, die Republik „unseren Kindern so anzuvertrauen, dass auch sie zu diesem Land „unser Land“ sagen können. Jetzt ist der Appell mit Inhalt zu füllen: „Ja, wie soll es denn nun aussehen, dieses Land?“
Das Gute unserer Vergangenheit
Es muss bei einem wie Gauck nicht überraschen, dass er nach einer knappen halben Stunde mit einer doppelten Bitte endet. Für sich bittet er um das Vertrauen seiner Zuhörer. Und zugleich für diese, dass sie beginnen, „Vertrauen in sich selbst zu setzen“.
Selbstvertrauen, Ermutigung, Ermächtigung, das sind Gaucks Schlüsselworte für die Bürger. Sie kennzeichnen den politischen Prediger, der seine Mission darin sieht, anzureden gegen Verzagtheit, Verunsicherung, Demokratieverdruss. Was hilft dagegen? Gauck empfiehlt den Deutschen die historische Erinnerung als „Kraft und Kraftquell“. Das ist ein neuer Ton. Im eingeübten Geschichtsdiskurs der Nachkriegsrepublik erschien die Vergangenheit vor allem als eine zu bewältigende Last. „Ich wünsche mir ein lebendiges Erinnern dessen, was in unserem Land gelungen ist“, sagt dagegen Gauck und spricht vom „kostbaren Gut der Nachkriegsgeschichte“, den „Schätzen in unserer Erinnerung“.
Ehre den Achtundsechzigern
Er nennt das westdeutsche „Demokratiewunder“ nach 1945. Würdigt das Verdienst der Achtundsechziger, die „historische Schuld“ der Deutschen „ins kollektive Bewusstsein“ gerückt zu haben, und reiht sich selbst, den damaligen Ost-Pfarrer, in diese Generation mit ein. Er preist das „entschlossene Ja der Westdeutschen zu Europa“, das „nicht vergessen werden sollte“. Und natürlich die friedliche Revolution in der DDR.
Nicht zuletzt sind auch Fragen abzuarbeiten. Einwände, die sich gegen den Kandidaten erhoben haben: Fehlt diesem Freiheitsprediger Gauck nicht das „Pathos der Gerechtigkeit“? Hat er nicht den Satz des Vorgängers vom Islam, der inzwischen auch zu Deutschland gehöre, mit ungehöriger Skepsis kommentiert?
Erlebbare Freiheit
„Das Bemühen um Gerechtigkeit ist unerlässlich für die Bewahrung der Freiheit“, antwortet Gauck. Freilich nicht im Sinne „paternalistischer“ Fürsorge, da lässt er sich nichts abhandeln. Er redet einem „Sozialstaat, der vorsorgt und ermächtigt“, das Wort. Freiheit, so Gauck, sei die „Voraussetzung der Gerechtigkeit“ und diese die „Bedingung, dass Freiheit erlebbar wird“.
Und wo Vorgänger Wulff eine „neue deutsche Einheit“ von Alteingesessenen und Zuwanderern zu seinem Projekt machen wollte, da redet Gauck in der Sache nicht anders. Nämlich von einem Deutschland, „in dem der Staat sich immer weniger durch die nationale Zugehörigkeit seiner Bürger definieren lässt“. Einer Nation, die sich nicht mehr wie herkömmlich als „Schicksalsgemeinschaft“ versteht, sondern als „das Streben der Unterschiedlichen nach Gemeinsamkeit“.