Essen. PINs, Passwörter, IP-Adressen: Ab 2013 muss es ein Gesetz geben, das den Schutz und die Nutzung dieser privaten Daten klar regelt. Dann könnten auch private Verfolger – Musikverlage etwa oder selbst ernannte Urheber-Schützer – Probleme bekommen, Abmahnungen in großen Serien zuzustellen.

Karlsruhe setzt den Ermittlern von Polizei, Staatsanwaltschaft und Geheimdiensten bei Fahndungen im Bereich von Internet und elektronischer Kommunikation noch einmal engere Grenzen.

Nach dem Debakel um die Vorratsdatenspeicherung hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts gestern den Paragrafen 113 des Telekommunikationsgesetzes für teilweise verfassungswidrig ­erklärt.

Tenor des Urteils: Die jetzt geltenden Regeln verletzen das Recht auf die informationelle Selbstbestimmung der Bürger, das im Volkszählungsurteil von 1983 festgelegt ist.

Seit 1983 macht sich das Bundesverfassungsgericht für den Datenschutz stark. Damals „erfand“ es das Recht auf informationelle Selbst­bestimmung. Auf diesem Urteil basieren alle späteren. Mit dem Stopp der Vorratsdatenspeicherung 2010 schränkten die Richter die Pflicht der Telefonanbieter ein, Nummern und Internetverbindungen über sechs ­Monate für den Zugriff durch Ermittler zu speichern. Wie beim gestrigen Urteil fordert das Gericht auch hier eine neue Gesetzesgrundlage

Was heißt das aktuelle Urteil für Mobilfunk- und Internetnutzer?

Bei einem Verdacht auf Straftaten wird die Fahndung auf diesen Feldern eingeschränkt. Im Mittelpunkt des Urteils stehen Pin-Nummern und Passwörter von Verdächtigen. Ermittler und Behörden können sie in Zukunft nicht mehr so leicht wie heute bei den Anbietern abrufen, um beispielsweise sichergestellte Mobiltelefone „zum Sprechen zu bringen“ oder gespeicherte Daten zu knacken.

Die Nummern und Codes dürfen die Behörden in Zukunft nur erhalten, wenn diese für die konkrete Fahndung gebraucht werden. Die Richter argumentieren, dass die Fahnder mit dem Erhalt von ­Pin-Nummern zugleich den Zugriff auf den Inhalt der Kommunikation bekommen – ein Bereich, der durch Artikel 10 des Grundgesetzes geschützt ist. Hier sei die Verhältnismäßigkeit verletzt. Wie sie repariert werden kann, muss nach der Forderung des Gerichts in einem eigenen Gesetz wasserdicht festgelegt werden.

Das Gericht schützt auch die sogenannte „dynamische ­IP-Adresse“ stärker vor dem Zugriff der Ermittler. Mit ­welchen Konsequenzen?

Karlsruhe hält es für einen Grundrechtsverstoß, wie ­heute mit den „dynamischen IP-Adressen“ verfahren wird. Diese sind Kennziffern, die die Anbieter in schnellem Wechsel ganz normalen Internet­surfern zuteilen, weil es nicht ausreichend „statische“ gibt, die vor allem Firmen gegeben werden.

Es geht also vor allem um den Zugang zu Privatdaten. Fahnder können mit den dynamischen Nummern zum Beispiel zurückverfolgen, ob Nutzer illegal Musik oder Filme heruntergeladen haben. Bis heute führt dies zu Verfahren und Tausenden Abmahnungen durch die Musik- und Filmindustrie wegen Urheberrechtsverletzung. Hier schieben die Richter den Riegel vor.

Werden Rechte von Internet- und Handy-Benutzern sofort gestärkt?

Nein. „Die Betroffenen können noch nicht aufatmen“, sagt der Kölner Internet- ­Anwalt Christian Solmecke. Denn die kritisierten Gesetze sind nicht für nichtig erklärt worden, sondern gelten für eine Übergangszeit weiter bis zum 30. Juni 2013. Bis dahin muss der Bundestag einen klareren Paragrafen 113 ausarbeiten und in Kraft setzen.

Wer erstritt das Urteil?

Es gab fünf Kläger. Zwei von ihnen sind aus Ahaus und ­Meckenheim in Nordrhein-Westfalen. Allerdings waren sie mit ihrer Verfassungsbeschwerde bei Weitem nicht auf der ganzen Linie erfolgreich.

In welchen Punkten hat Karlsruhe denn die heutige Praxis gestärkt?

„Das Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass Telekommunikationsdaten für die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr äußerst wichtige Instrumente sind“, freut sich der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut.

Tatsächlich stellen die Richter fest, dass Provider grundsätzlich bestimmte Verkehrsdaten weiterhin speichern und an die Fahnder herausgeben müssen. Dazu gehören Anschlusskennungen, Rufnummern, Mobilfunkendgerätenummern und Kennungen elektronischer Postfächer sowie die persönlichen Daten der Anschlussinhaber. „Das Grund­recht schützt allein die Vertraulichkeit konkreter Te­lekommunikationsvorgänge, nicht aber die Vertraulichkeit der jeweiligen Umstände der Bereitstellung“, so das Urteil.

Wer muss jetzt handeln?

Der Bundestag muss in kurzer Zeit – bis in den Wahlkampf 2013 – neue Gesetze ausarbeiten, um den Ermittlern ab Mitte 2013 die Arbeit zu ermöglichen. „Die Zeit drängt“, sagt die GdP und weist darauf hin, dass auch über das vom Verfassungs­gericht verlangte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung noch immer kein Konsens in der Koalition vorliegt.