Berlin. . Sie haben gepokert. Und am Ende die besseren Nerven gezeigt. Für die Libe­ralen ist das ein denkwürdiger Sonntagnachmittag gewesen. Und geht es nach ihnen, so gilt dies nicht minder für das schwarz-gelbe Bündnis ins­gesamt.

Eine solche „harte Aus­einandersetzung“, heißt es am Tag danach in der FDP, verändere unter Koalitionspartnern die Wahrnehmung des jeweils anderen. Dies sei auch eine Chance: „Wir haben in dieser Koalition bewiesen, dass wir auch auf Risiko gehen, wenn wir überzeugt sind, die richtige Lösung zu haben.“ Ein neues Selbstbewusstsein spricht aus solchen Worten.

Auf der Gegenseite, bei der Union, lecken am Tag danach manche noch ihre Wunden. Einen „gewaltigen Vertrauensbruch“ nennt es Fraktionsvize Michael Kretschmer, wie die FDP an der Seite von Roten und Grünen den Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck gegen die Kanzlerin durchgeboxt habe.

Eine Verletzung von „Koa­litionsverpflichtungen“, die „nur sehr schwer zu verstehen“ sei und gewiss noch ein Nachspiel haben werde, ­beklagt der CDU-Senior Bernhard Vogel. Während sich der Innenpolitiker Wolfgang Bosbach in düster raunenden Andeutungen ergeht: „Man sieht sich im Leben immer zweimal“, warnt er die Liberalen.

Ein schwarz-gelber Stresstest, keine Frage. Die unverhüllte Drohung hat an diesem Sonntagnachmittag im Raum gestanden, dass die FDP notfalls ­gemeinsam mit Roten und Grünen in der Bundesversammlung für Gauck und ­damit gegen den Koalitionspartner stimmen werde. Andererseits glaubten die Liberalen bis zuletzt fürchten zu müssen, die Union könnte sich über ihre Köpfe hinweg mit der ­Opposition verständigen.

Zum Beispiel auf Klaus ­Töpfer, den einstigen Direktor des UN-Umweltprogramms. Der dem Wirtschaftsminister Philipp Rösler kürzlich Saum­seligkeit bei der Energiewende vorgeworfen und sich spätestens damit in der FDP unmöglich gemacht hat. Oder Altbischof Wolfgang Huber, einen Sozialprotestanten mit Vorlieben für Mindestlohn, höhere Steuern und alles, was Libe­ralen sonst noch ein Gräuel ist.

Der koalitionäre Nervenkrieg begann, als am Samstagvormittag klar wurde, dass ­weder der Präsident des ­Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle noch ­Bundestagspräsident Norbert Lammert für das Amt zur Verfügung standen. Auf beide ­hätten sich Union und FDP gut einigen können. Seither ­indes hatten die Liberalen den Eindruck, dass sich die Union auf den Kandidaten Töpfer förmlich versteifte.

CDU-Chefin war erbost

In einer Schaltkonferenz am Sonntagnachmittag ließ Rösler deshalb das FDP-Präsidium einmütig den Wunsch bekräftigen, Gauck im Schloss Bellevue zu sehen. Von einem „Meinungsbild“ ist im Nach­hinein die Rede. Wodurch aber die Kanzlerin und CDU-Chefin dermaßen in Harnisch geriet, dass sie ihrerseits ihr Präsidium einen formellen Beschluss fassen ließ, Gauck nie und nimmer zu akzeptieren.

Die Heftigkeit der Reaktion Angela Merkels hat die Liberalen verwundert. Sie habe habe wohl nicht geglaubt, dass es ­ihnen ernst war mit ihrem ­Votum. Umso überraschender kam am frühen Abend die Kehrtwende, als die FDP nicht mit der Wimper zuckte und das CDU-Präsidium grünes Licht für Gauck gab.

Das große Risiko für die Liberalen war, dass ihr Wunschkandidat nicht vorbehaltlos zur Verfügung stand und es Merkel mit Hinweis darauf gelungen wäre, den Sozialdemokraten Töpfer schmackhaft zu machen: „Dann hätten wir am kürzeren Ende gesessen.“ Das Risiko des Koalitionsbruch ­indes habe nicht bestanden: Sollte die Kanzlerin einer Personalie wegen den FDP-Ministern den Stuhl vor die Tür ­setzen? Unwahrscheinlich.