Berlin. Christian Wulffs Rücktritt hat das Amt des Bundespräsidenten nicht dauerhaft beschädigt, sagt der Bonner Politologe Volker Kronenberg. Er erklärt, welche Anforderungen der Nachfolger von Wulff erfüllen müsste und was er anders machen müsste. Kronenberg kann der Affäre um Wulff sogar Positives abgewinnen.

Die Affäre um Christian Wulff hat das Amt des Bundespräsidenten aus Sicht des Bonner Politologen Volker Kronenberg nicht dauerhaft geschädigt. Im Interview mit der WAZ-Mediengruppe erklärt Kronenberg, warum der Vorfall auch sein Gutes hat und wie er das Handeln von Politikern verändern wird.

Kam der Rücktritt zu spät?

Volker Kronenberg: Er kam sehr spät. Und er war zwangsläufig.

Ist das Amt nun dauerhaft beschädigt?

Kronenberg: Nein, die Affäre bietet auch eine Chance. Jetzt muss man aber einen Kandidaten finden, der die Ansprüche des Amtes ausfüllen kann. Dazu war Christian Wulff zuletzt nicht mehr in der Lage.

Welche Ansprüche muss der neue Bundespräsident erfüllen?

Kronenberg: Er braucht persönliche Integrität, und muss Autorität haben. Zwischen dem, was er sagt und dem, was er als Präsident personifiziert, darf keine eklatante Lücke klaffen. Das war bei Wulff der Fall. Ein Beispiel: Als Bundespräsident hat Wulff immer wieder und zu Recht angesichts der Finanz- und Wirtschaftkrise zu Maßhalten und Zurückhaltung aufgerufen und selbst, so zumindest der Eindruck, jede Möglichkeit genutzt, das eine oder andere Schnäppchen zu ergattern.

Kanzlerin Merkel will die Opposition bei der Kandidatensuche ins Boot holen. Ein kluger Schritt?

Kronenberg: Auf jeden Fall. Jetzt braucht es einen Kandidaten, der von einer breiten Mehrheit getragen wird. Ein weiterer Rücktritt darf sich nicht wiederholen.

Wer sollte neuer Präsident werden?

Kronenberg: Es wird wohl eher kein Kabinettsmitglied sein. Da dürfte die Opposition kaum mitspielen. Es sollte jemand mit politischer Erfahrung sein. Denkbar wäre Joachim Gauck. Doch damit würde Kanzlerin Merkel auch eingestehen, dass sie mit ihrem letzten Kandidaten völlig gescheitert ist. Vorstellbar sind auch Norbert Lammert und Klaus Töpfer.

Sind die moralischen Anforderungen an den Bundespräsidenten zu hoch?

Kronenberg: Ich denke nicht. Ein Bundespräsident muss zwar bestimmte Ansprüche erfüllen können und glaubwürdig sein. Wir brauchen aber kein Neutrum im Schloss Bellevue. Auch künftig darf ein Präsident Fehler machen. Aber seine Glaubwürdigkeit darf darunter nicht zu sehr leiden. Wulffs Image hat weniger unter den einzelnen Fehltritten gelitten, vielmehr hat er kommunikativ versagt und immer nur gerade das eingeräumt, was von dritten ans Tageslicht gebracht wurde.

Welche neuen Schwerpunkte sollte der Bundespräsident setzen?

Kronenberg: Er sollte die Themen vorantreiben, die das Land bewegen: Europa, Integration, Demographie, Umwelt. Dabei sollte er auch unbequem sein, auch für einzelne Parteien.

Verändert die Affäre das Verhältnis von Politik und Moral?

Kronenberg: Ja, das kann man sagen. Politiker müssen damit rechnen, dass sie künftig stärker durchleuchtet werden. Sie werden stärker darauf achten, von wem sie sich wann wozu einladen lassen und wie die Konsequenzen sein könnten. So hat die Affäre für die Politik und die Akzeptanz von Politik auch etwas sehr Positives.

Wird Herr Wulff seinen Ehrensold bekommen?

Kronenberg: Das ist schwer zu beurteilen. Selbst die Staatsrechtler streiten darüber, ob es ihm zusteht. Herr Wulff sollte, wenn er es erhält, auf einen Teil von sich aus verzichten. Das wäre das Beste.