Dortmund. . Wenn Kinder nicht verstehen, was der Mathe-Lehrer von ihnen wissen will, können sich auch nicht richtig rechnen. „Deutsch als Zweitsprache“ müssten deshalb alle Lehrkräfte im Land kennenlernen, fordert der Dortmunder Bildungsforscher Wilfried Bos.

Die Pisa-Daten aus dem Jahr 2000 haben belegt: Das deutsche Schulsystem versagt ausgerechnet bei denen, die durch die Schulen besonders gefördert werden müssten.

Die schwächsten Lerngruppen sind vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien, meist ausländischer Herkunft. Den fehlenden familiären Rückhalt gleichen deutsche Schulen aber nicht aus.

15-Jährige auf dem Stand von Viertklässlern

Die fatale Folge: Deutschlands Schulen machten Ende 2001 weltweit Furore, weil der ­Abstand zwischen den erfolgreichsten und den schwächsten Lernern hier größer war als in jeder anderen Industrienation.

Schockiert wurde die deutsche Öffentlichkeit auch durch diese Erkenntnis: Fast jede/r vierte 15-Jährige (22,6 ­Prozent) konnten nach zehn Schuljahren nicht besser rechnen und schreiben als durchschnittliche Viertklässler.

Schwächste Lerngruppen haben stark aufgeholt

In den Folge­jahren tat sich aber bundesweit eine Menge im Schulalltag. Die Pisa-Studie 2009 (erneut mit dem Schwerpunkt Lesekompetenz) ergab unter anderem: Die schwächsten Lerngruppen hatten deutlich auf­geholt, der Abstand zu den Besten verringerte sich spürbar. Der Anteil der Schüler mit schwachen Lesefähigkeiten war innerhalb der neun Jahre auf 18,5 Prozent gesunken. Sprich: Weil sich die anfangs schwächsten Lerngruppen deutlich verbessern konnten, stieg Deutschland insgesamt stetig im Pisa-Ranking auf.

Defizit bei Pädagogen: Deutsch als Zweitsprache

Solche Fortschritte freuen auch den Dortmunder Bildungsforscher Wilfried Bos. Nach seiner Überzeugung könnten allerdings weit mehr ­Kinder erfolgreich lernen, wenn sich Politiker und Schulen für eine systematische Förderung benachteiligter Kinder entscheiden würden. „Die nächste große Baustelle in NRW“ ist für Bos „Deutsch als Zweitsprache“.

„Nicht nur im Ruhrgebiet gibt es Schulen mit 80 Prozent nichtdeutschen Kindern. Wie unterrichtet man die gut?“ fragt er. „Das muss auch jeder Mathe- und Physiklehrer schleunigst lernen. Weil selbst sehr gute Mathe-Schüler scheitern, wenn sie Text-Aufgaben nicht verstehen.“ Sein Vorschlag: „Ein Fort­bildungsprogramm für alle 200 000 Lehrkräfte im Land – das würde eine Menge bringen. Aber dazu fehlt das Geld.“

Fehlt: Gute Vorbereitung auf gemeinsames Lernen

Mit Skepsis beobachtet Bos auch die geplante Einführung der „Inklusion“ in NRW, das gemeinsame Lernen behinderter und nicht behinderter Kinder. „Voraussetzung für das Gelingen wäre auch hier ein breit angelegtes Fortbildungsprogramm für alle Lehrkräfte: Wie funktioniert gemeinsames Lernen? Was mache ich, wenn der erste Autist in der Klasse ausrastet? Die meisten Lehrer sind doch darauf gar nicht vorbereitet.“ Solche Probleme seien vermeidbar, findet er.