Hamburg. Seit eineinhalb Jahren läuft der „Taipan“-Prozess in Hamburg. Vor Gericht prallen Kulturen aufeinander. Jetzt wird plädiert.

Die Strafanstalt Hahnhöfersand liegt auf einer Elbinsel. Sie ist seit eineinhalb Jahren ein enges Zuhause für zehn somalische Piraten, die Ostern 2010 530 Seemeilen vor dem Horn von Afrika den deutschen Frachter „Taipan“ gekapert haben. Alle vierzehn Tage wird den U-Häftlingen Deutschunterricht angeboten. Zweimal die Woche bringt man sie mit dem Häftlingstransport in die Hansestadt. Im Saal 337 des Landgerichts läuft Hamburgs erster Seeräuber-Prozess seit 400 Jahren.

Es ist ein zähes, langes Verfahren. Seine Dauer belastet die Nerven der jungen Somalier. In Sweatshirts und Trainingshosen und mit Kopfhörern sitzen sie öde Stunden ab, in denen Richter und Anwälte streiten, in welche Akte denn „Blatt 796“ gehört. Der deutsche Rechtsstaat ist genau. Ihre Heimat aber liegt 6000 Kilometer weg. Frauen und Eltern leben dort und „die Tochter, die ich liebe“. Einige liebäugeln mit Asyl im reichen Norden. Alle wollen, dass der Prozess endlich endet. „Verurteilen Sie mich“, appelliert ein Somali, vom Dolmetscher übersetzt, „aber verurteilen Sie mich sofort.“

Jetzt, nach siebzig Verhandlungstagen, ist es wohl soweit. Die Beweisaufnahme ist nach 22 Zeugenauftritten erledigt. Heute plädiert der Staatsanwalt gegen „Carab Mohammed u.a.“ Er wirft den Angeklagten Angriff auf den Seeverkehr vor „in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub“. 15 Jahre Haft drohen.

Sie sind damals brutal vorgegangen gegen Kapitän Eggers und die Besatzung. Mit Maschinenpistolen, Raketenwerfern, Kricketschlägern. Das war wie bei den anderen der jährlich 300 Piratenüberfälle vor Ostafrika. Selbst Scheinhinrichtungen kommen vor. Die „Taipan“-Crew konnte sich aber in einem fensterlosen Rettungsraum verbergen, wo sie verharrte, bis Seesoldaten der holländischen Fregatte „Tromp“ kamen und die Piraten festsetzten. Das Internet-Video der Aktion ist beliebt.

Der Prozess, den Richter Bernd Steinmetz führen muss, ist ein Zusammenstoß der Kulturen: Wann war Ihr Geburtstag? „In der Regenzeit“. Wo wurden Sie geboren? „Unter einem Baum“. Steinmetz hat sich in die Geschichte des bitterarmen Somalia hineingelesen, eines „failed state“ ohne Gesetz und Recht. Er hat es zum Beispiel mit M., 20, zu tun, dem räuberische Banden den kleinen Sohn entführt hatten. M. sollte Lösegeld zahlen. Deshalb, sagt er, habe er beim Angriff mitgemacht. Arme Fischer bekommen dafür schon mal 1200 oder auch 12 000 Dollar – Geld, das den Reedern der gekaperten Schiffe in Millionenhöhe abgepresst wurde.

Stimmt diese Geschichte? Stimmen die Behauptungen der Anwälte, irgendwelche Clanchefs hätten die Mandanten zur Tat gezwungen? Kann ein Richter an der Alster richten, ohne vor Ort Beweis aufnehmen zu können?

Politik geht auf Distanz

Alleine Sprachhürden produzieren laufend Missverständnisse im Saal 337. „Najax“ liest Steinmetz auf dem Zettel, den Aufseher beim Häftling W. gefunden haben. Nach langem Palaver ist klar, dass sich das „Natscha“ spricht. Natscha also heißt die Tochter von Carab Mohammed.

Vorsichtig wächst die Distanz der Politik zum Verfahren. Hamburgs Justizsenatorin Jana Schiedek hält es „für wichtig, dass die Piraterie bekämpft wird“. Dazu gehöre der Prozess. Aber sie glaubt, dass künftig besser ein „internationales Gericht“ urteilt. Vielleicht hat das auch mit den Kosten zu tun. 300 000 Euro sollen alleine die 20 Pflichtverteidiger vom Senat erhalten.

Oberstaatsanwalt Möller will heute plädieren. Die Weltöffentlichkeit wird genau hinschauen beim Urteil. Es ist eine Premiere.