Essen. . Ein Jahr nach dem Skandal um dioxinbelastete Eier und Fleischprodukte hat sich die Sicherheit für die Verbraucher noch nicht spürbar verbessert. Der 14-Punkte-Plan von Bund und Ländern wartet in weiten Teilen noch auf die Umsetzung. Acht von 14 Punkten sind noch offen, manche Vorschläge wurden abgespeckt

Ein Jahr nach dem Skandal um dioxinbelastete Eier und Fleischprodukte hat sich die Sicherheit für die Verbraucher noch nicht spürbar verbessert. Der 14-Punkte-Plan, auf den sich Bund und Ländern als Reaktion auf den Skandal geeinigt hatten, wartet in weiten Teilen noch auf die Umsetzung. Acht von 14 Punkten sind noch offen, manche Vorschläge wurden abgespeckt. So dürfte es eine Positivliste von Produkten, die an Tiere verfüttert werden dürfen, so schnell nicht geben, weil die EU derzeit dagegen ist.

NRW-Verbraucherminister Johannes Remmel (Grüne) wirft der Bundesregierung vor, ihre Hausaufgaben nicht gemacht zu haben. Es fehlten weiter klare, einheitliche Vorgaben für die Eigenkontrollen in Futtermittelbetrieben.

Der Verein „Foodwatch“, der sich um die Qualität von Lebensmitteln sorgt, zieht ebenfalls eine ernüchternde Bilanz: „Man wollte die Leute wohl mit dem 14-Punkte-Plan ruhig stellen. Mit dem, was da angestoßen wurde, dürfte in Zukunft solch ein Dioxin-Ereignis nicht überzeugend verhindert werden können“, sagte Foodwatch-Geschäftsführer Matthias Wolfschmidt zu WAZ. Laut Foodwatch gibt es nach wie vor zu wenige amtliche Kontrolleure, auch in NRW.

Kritik kommt auch vom Deutschen Bauernverband. Die von den Bauern vehement geforderte Haftungsregelung für Futtermittel-Hersteller ist offenbar vom Tisch.

Die Bundesregierung sieht sich hingegen auf einem guten Weg. Die Umsetzung des 14-Punkte-Palns werde konsequent vorangetrieben. „Konkrete Maßnahmen sind in allen Punkten weit fortgeschritten“, hieß es auf Nachfrage aus dem Verbraucherministerium. Künftig müssten Futtermittelbetriebe „unter strengen Auflagen zugelassen werden. Die Produktion von Fetten für Futtermittel muss von der Produktion von Fetten für die technische Industrie getrennt werden.“ Der Bund verweist auf weitere Fortschritte: So gebe es inzwischen eine Meldepflicht für private Labore, die Futtermittel testen. Übeltäter, die Giftstoffe ins Futter mischen, könnten härter bestraft werden. Auch über die Einführung einer verbindlichen Positivliste für Futtermittel spreche Deutschland derzeit mit der EU-Kommission.

Weihnachten 2010 geht eine alarmierende Nachricht durchs Land: Im Handel sind womöglich Tausende mit Dioxin belastete Eier verkauft worden. Die Geschichte eines Lebensmittel-Skandals nimmt ihren Lauf.

Schnell wird klar: Schuld ist ein Futtermittel-Hersteller in Schleswig-Holstein, der hochgiftige Industriefette ins Tierfutter gemischt hatte. In Eiern, Geflügel- und Schweinefleisch finden Experten das Dioxin. Verbraucher meiden diese ­Lebensmittel, Bauern geraten in Existenznot. Allein in NRW werden fast 270 Bauernhöfe vorübergehend gesperrt, ­bundesweit sind es 5000.

Die Politik verkündet schnell: So etwas soll es nie wieder geben. NRW-Verbraucherminister Johannes ­Remmel (Grüne) ist fix. Er ­präsentiert am 6. Januar 2011 einen 10-Punkte-Plan.

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) legt noch eins drauf: Bund und Länder einigen sich am 18. Januar auf einen 14-Punkte-Plan. „Das ­Sicherheitsnetz wird damit deutlich enger geknüpft“, sagt Aigner in der ARD.

Was ist aus dem großen Plan geworden? Ist der Ver­braucher ein Jahr nach dem Skandal auf der sicheren ­Seite? Würde es heute schneller auffallen, wenn einer Gift ins Futtermittel mischt?
Die WAZ hat nachgehakt.

Positivliste nicht in Sicht

Es sollte schon in diesem Jahr eine Liste von Produkten geben, die an Lebensmittel ­liefernde Tiere verfüttert werden dürfen. „Wir müssen die Positivliste abschließend europäisch regeln“, hatte Ilse Aigner gesagt. Aber die Euro­päische Union will nicht. ­Große Agrarländer wie Frankreich und Polen lehnen dies als „unnötige Regulierung“ ab. Auch die EU-Kommission stellt sich quer. Der Bauern­verband ist deshalb sauer: „Wir brauchen die Positivliste unbedingt“, heißt es.

Haftpflicht abgelehnt

Jeder Futtermittelhersteller sollte schon ab 2011 sein Haftungsrisiko „umfänglich“ absichern. Auch dazu sagt die EU nein. „Diese Initiative der Bundesregierung ist vollständig gescheitert“ ist aus dem NRW-Verbraucherministerium zu hören. Der Bauernverband bedauert das Aus für diesen Punkt sehr. „Er hätte den Landwirten mehr Sicherheit gegeben. Das hätte man auch auf Bundesebene machen können und müssen.“

Bis heute keine Zulassungspflicht

Noch in diesem Jahr sollten alle Futtermittel-Hersteller ­ei­ner Zulassungspflicht unterworfen werden. Zugelassen würden dann nur Firmen, die alle Sicherheitsanforderungen erfüllen und die fachlich qualifiziert sind. Diese Zulassungspflicht gibt es bis heute nicht. Es heißt, die EU will sie bis Mitte 2012 einführen.

Warten auf die Trennung der Produktionsströme

Futterfette und Stoffe, die keine Lebens- oder Futter­mittel sind, sollten ab 2011 nie zusammen gelagert und ­produziert werden. Auch ­dieser Punkt ist noch nicht ­umgesetzt. Es gibt nur eine ­entsprechende Absichtser­klärung der EU.

Noch offene Fragen zu Überwachung und Kontrolle

Verbindliche Vorgaben, wie Futtermittelunternehmen ihre Produkte selbst kontrollieren müssen, gibt es noch nicht. Die Überwachung, wo giftige ­Lebensmittel herkommen (Rückverfolgbarkeit) ist auch noch nicht abschließend auf Schwächen abgeklopft worden. Die EU will beide Punkte im nächsten Jahr abhaken.

Überwachung zwischen Bund und Ländern besser abstimmen

Die amtlichen Kontrollen von Futtermitteln sollen bis 2012 von unabhängiger Seite bewertet werden (Auditierung). Schwächen sollen analysiert und überall abgestellt werden. Aber: „Eine ­verpflichtende Regelung zur gegenseitigen Auditierung der Länder stößt an verfassungsrechtliche Grenzen“, gibt das Bundesministerium für Verbraucherschutz zu.

Zu wenige Kontrolleure

Mehr amtliche Kontrollen wurden im Januar/Februar 2011 gefordert. Aber die Zahl der Kontrolleure in den Ländern steigt, wenn überhaupt, nur marginal. NRW hat drei neue Stellen geschaffen und nun elf amtliche Kontrolleure für Futtermittelbetriebe. „Viel zu wenige“, findet Foodwatch.

Nicht jede Charge wird geprüft

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner hatte im Januar keinen Zweifel gelassen: „Jede Futtermittelcharge, die geliefert wird, muss überprüft werden.“ Noch ein Ziel, das nicht erreicht wurde. „Von der zentralen Forderung, verpflichtende Tests aller Futtermittel-Bestandteile, zum Beispiel Öle, Eiweiß, Mineralien, bevor sie zusammengemischt werden, ist auf Druck der Industrie nicht viel übrig geblieben. Es wird nur ein Bruchteil aller Chargen überprüft,“ kritisiert Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von Foodwatch.

Das wurde erreicht

Am Freitag, 2. Dezember, verabschiedete der Bundestag ein neues Verbraucherin­formationsgesetz: Behörden müs­sen die Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung künftig von sich aus veröffentlichen, wenn Grenzwerte überschritten wurden. Bürger haben einen Anspruch auf Auskunft durch die Ämter.

Damit ist eine wichtige Forderung aus dem 14-Punkte-Plan erfüllt. NRW ist dennoch nicht zufrieden. Denn es fehlt der Informationsanspruch des Bürgers gegenüber Firmen, die Lebens- oder Futtermittel herstellen. Auch Foodwatch kritisiert, dass es keine umfassendere Auskunftspflicht gibt.

lebensmittelwarnung.de

Weitere Ziele sind voll­ständig erreicht. Es gibt eine Internetseite, auf der Verbraucher im Fall einer Gefahr vor unsicheren Lebensmitteln gewarnt werden (www.lebensmittelwarnung.de). Außerdem können Menschen, die gefährliche Lebensmittel in den ­Handel bringen, nun härter bestraft werden. Bis zu zwei Jahre Haft ist der Strafrahmen.

Der Aufbau eines Frühwarnsystems („Dioxin-Monitoring“) schreitet voran, außerdem gibt es eine Meldepflicht für private Labore, die gefährliche Stoffe in Lebens- und Futtermitteln finden.