Essen. . In zwei Wochen endet die Mitgliederbefragung der FDP zum Umgang mit der Euro-Krise. Die Partei ist tief gespalten, niemand wagt eine Prognose über den Ausgang. Viele Parteimitglieder sind begeistert, weil nun ihre Meinung gefragt ist. Aber die Führung der Liberalen wird immer nervöser.

So viel Leben war schon lange nicht mehr in der FDP. Die in Wahlen vielfach abgestrafte Partei ist in heller Aufregung. Sie streitet über den Euro-Rettungsschirm ESM und damit über die Frage, wie sehr Deutschland für verschuldete EU-Partner haften sollte. Der Mitgliederentscheid dazu spaltet die FDP auch im Ruhrgebiet in zwei Lager. Weil niemand weiß, wie Euro-kritisch die Mitglieder wirklich sind, wird die Parteiführung immer nervöser. Sie schickt Briefe an die Basis. Die Botschaft: Kippt bloß nicht die europäische Einigung!

Es ist ein bisschen so, als hätte sich die FDP von Willy Brandt inspirieren lassen: Die Partei ist drauf und dran, mehr Demokratie zu wagen. Doch das laufende Experiment Mitgliederbefragung ist eines mit Sprengkraft. Mit bewusst vorgetragenem Pathos spricht Parteichef Philipp Rösler in einem Video vom „Mitgliederentscheid über die Zukunft Europas“. Es steht viel auf dem Spiel. Nicht unbedingt die EU, eventuell aber die Koalition in Berlin und auf jeden Fall die heutige FDP-Spitze.

Christoph Dammermann (44), FDP-Kreisvorsitzender in Unna, ist einer von jenen, die den Mitgliederentscheid eingestielt haben. Ein liberaler Rebell also. Dammermann vertritt auf Info-Veranstaltungen die Seite der Rettungsschirm-Skeptiker und liefert sich Duelle mit Bundes- und Landtagsabgeordneten.

Der Ratsherr aus Werne beobachtet einen „Solidarisierungseffekt der Funktionsträger“. Heißt: Je höher ein Mitglied in der FDP-internen Hierarchie geklettert ist, desto näher ist er der Meinung der Parteiführung. Das könnte aber auch heißen: Die breite Basis steht eher auf der Seite der Revolutionäre um Frank Schäffler. „Es wird knapp, ich wage keine Prognose“, sagt Dammermann. „Beide Anträge, über die die Mitglieder abstimmen können, werden mindestens 40 Prozent bekommen.“

Zu 200 Info-Veranstaltungen lädt die FDP bundesweit ein. Manchmal kommen 30 Interessierte, manchmal 70, selten 100. Christoph Dammermann war in Velbert, Mönchengladbach, Krefeld, Ahaus und Dortmund dabei. Sein Eindruck: „Bei diesen Treffen haben wir eine Mehrheit.“

Auch Ralf Witzel (39), Landtagsabgeordneter aus Essen und Chef der Ruhr-FDP, wagt keine Vorhersage. „Wir wissen nicht, was das unbekannte Basismitglied denkt“, gibt er zu. Die Fraktion der Unbekannten ist aber nicht klein. „Von 350 Mitgliedern im Kreisverband Essen sind vielleicht 100 im Parteialltag aktiv“, so Witzel. Er selbst steht in der Europa-Frage an der Seite des Landesvorsitzenden Daniel Bahr.

Bittbrief vom Chef

Bahr hatte sich jüngst in einem Brief an die „lieben Parteifreunde“ in NRW gewandt. Offenbar ist es der FDP-Führung nicht geheuer, was da an ihrer Basis geschieht. Bahr stellt klar, dass er den Antrag B des Bundesvorstandes unterstützt. In ihm ist von Solidarität für notleidende EU-Partner die Rede. Bahrs Brief liest sich wie eine Aufforderung, bei der Abstimmung bloß keinen Quatsch zu machen. „Ich bitte Sie, sich nicht leichtfertig beeinflussen zu lassen.“ Gegen etwas zu sein, sei einfacher als „den Weg des Gestaltens einzuschlagen“. Und schließlich: „Ein Auseinanderbrechen des Euro kann sich gerade Deutschland nicht leisten.“

Um dem Nachdruck zu verleihen, zaubert die FDP-Spitze sogar Altliberale wie Klaus Kinkel und Hans-Dietrich Genscher aus dem Hut. Auch sie warnen vor „Stillstand in Europa“. Ein anderer Altvorderer, Burkhard Hirsch, steht hinter dem Antrag A, der unbefristete Rettungsmaßnahmen für den Euro ablehnt.

12 000 Liberale haben sich bisher am Mitgliederentscheid beteiligt. „Es läuft gut“ sagen die Rebellen. „Manche, die schon frustriert austreten wollten, haben jetzt wieder Spaß an der Parteiarbeit“, freut sich Christoph Dammermann. Philipp Rösler war so viel Freude bisher nicht anzusehen.