Essen. . Die Morde des Terrortrios werfen erneut die Frage auf: Wie und warum driften Jugendliche in die rechtsextreme Szene ab? Und: Kann man das verhindern? Ob Jugendliche sich linksradikalen, rechtsextremen oder islamistischen Gruppen anschließen, hat zunächst viel mit Zufall zu tun. Die jeweilige Ideologie spielt zu Beginn eine untergeordnete Rolle. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Jugendlichen suchen vielfach eine Ersatzfamilie.

Zehn Menschen und zahllose Gewalttaten hat das Tätertrio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos aus Jena auf dem Gewissen. Die Verbrechen werfen erneut die Frage auf: Wie und warum driften Jugendliche in die rechtsextreme Szene ab? Und: Kann man das verhindern?

So unglaublich es klingt: Ob Jugendliche sich linksradikalen, rechtsextremen oder islamistischen Gruppen anschließen, hat zunächst viel mit Zufall zu tun. Die jeweilige Ideologie spielt zu Beginn eine untergeordnete Rolle. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Bundeskriminalamtes (BKA). In Interviews zeichneten die Forscher die Gewaltkarrieren von 39 zumeist bereits inhaftierten Extremisten und Terroristen nach. Dabei wurden Gemeinsamkeiten quer über alle ideologischen Grenzen sichtbar.

Dann wäre ich heute Punk

„Die Entscheidung für ein bestimmtes extremistisches Umfeld hängt ab von der Verfügbarkeit von Orientierungsmodellen“, schreibt Saskia Lützinger, Autorin der Studie „Extremismus in biographischer Perspektive“, die 2010 erschien. Ein damals 28-jähriger Skinhead aus dem Ruhrgebiet erzählte den BKA-Forschern: „Das hätten auch Punks sein können, dann wäre ich heute Punk.“

Ein 30-jähriger Punk wiederum, der mit 14 Jahren Kontakt zur linksradikalen Szene bekam, sagte: „In den 90-ern war es halt Mode, links zu sein.“ Demnach hätte ein orientierungsloser Jugendlicher, der in Berlin Kreuzberg aufwuchs und sich den linken Autonomen anschloss ebenso gut rechtsradikal werden können, wäre er in der thüringische oder sächsischen Provinz groß geworden. Alles Zufall?

Verblüffende Ähnlichkeiten

Nicht nur. Je größer und flächendeckender das „Angebot“ rechter Gruppen für Jugendliche in einer Region ist, desto mehr Zulauf bekommen sie. Ein Prozess, der sich so immer weiter beschleunigen kann.

Als die Forscher die Lebensläufe der Täter verglichen, stellten sie verblüffende Gemeinsamkeiten fest: Ob rechts- oder linksextrem – fast alle stammen aus „dysfunktionalen“ Familien, also aus kaputten Elternhäusern. Scheidung, Trennung, Vernachlässigung, Prügel, Alkohol, Drogen – dies kannten alle der Interviewten aus ihrer Kindheit. Schule, Ausbildung, Beruf, nichts gelang. In dem familiären Chaos blieben die Kinder sich selbst überlassen.

Halt und Anerkennung

Dieses Gefühl der Verlassenheit führt zu Lebenseinstellungen wie „sein Ding machen“, „sich nichts gefallen lassen“, „in einer eigenen Welt leben“, so Lützinger. Die Gruppe wird zur Ersatzfamilie. Hier finden sie Halt, Anerkennung und Bestätigung. Die politische Ziele sind weniger wichtig. Im Alter von zwölf, dreizehn Jahren wachsen Jugendliche in solche Strukturen hinein und sind dann für eine andere Jugendkultur verloren.

Zumindest auf Beate Zschäpe und Uwe Bönhardt treffen diese Lebensumstände zu. Beide gehören offenbar zu dem Typus ostdeutscher Jugendlicher, die ohne Perspektiven aufwachsen und im ideologischen Vakuum der Wendezeit in die rechte Szene abgleiten. Uwe Mundlos fällt auf den ersten Blick aus dem Rahmen: Der Professorensohn war gut in der Schule, radikalisierte sich aber immer mehr. Über seine Familienverhältnisse ist bisher wenig bekannt.

Das soziale Umfeld

Wenn die Biographien von Extremisten auffallende Parallelen aufweisen, ist das ein wichtiger Hinweis für eine bessere Vorbeugung. Man müsse nicht nur die extremen Ideologien bekämpfen, so das Fazit der Kriminologen, sondern zugleich das soziale Umfeld stärker in den Blick nehmen, um gefährdete junge Menschen frühzeitig „abzufangen“. Etwa mit gezielten Angeboten der Familien- und Jugendarbeit. Sozialprojekte, von der Hausaufgabenhilfe bis zum Ausstiegsprogramm, müssten daher ausgebaut werden.