Berlin. . Ungewöhnlich heftig kritisierte am Montag im Parlament Frank-Walter Steinmeier (SPD) die bisherige Blindheit des Verfassungsschutzes auf dem rechten Auge. Allzu lange habe man rechtsextreme Hintergründe bei Verbrechen nicht wahrhaben wollen. Selbst Innenminister Friedrich (CSU) will mittlerweile ein NPD-Verbot prüfen lassen.

Egal, worum es ging, es waren immer „Einzeltäter“ und „Verirrte“ oder „Waffenarren“, erinnerte sich Frank-Walter Steinmeier. Selbst brutalste Körperverletzungen tauchten in den Statistiken nicht als rechte Gewalt auf. Sie wurden „dem kriminellen Milieu zugerechnet“, klagte der SPD-Fraktionschef. „Es durfte nicht sein, was nicht sein konnte, deswegen wurden die Augen verschlossen.“ Da stand er im Raum: Der Vorwurf der Verharmlosung. So heftig wie gestern hatte man den Sozialdemokraten selten erlebt.

Das machte Eindruck. Unions-Fraktionschef Volker Kauder versicherte, mögliche Kürzungen von Mitteln für Projekte gegen Rechtsextremismus würden wieder rückgängig gemacht. Und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist nun offen für ein Verfahren, um die NPD zu verbieten – das ist eine alte Forderung der Sozialdemokraten. Hier die NPD und dort der gewaltbereite Rechtsextremismus, die Teilung macht Frank-Walter Steinmeier nicht länger mit. Mehr noch: Auch mit Blick auf das Ausland – also auf die Außenwirkung – sei man gut beraten, alle Mittel tatsächlich auszuschöpfen, so Steinmeier. Einmal in Rage geredet, ließ er auch den häufigen Hinweis der Union auf den Linksextremismus nicht mehr gelten: „Es gibt keine linksextremen Schlägertrupps, die ganze Regionen terrorisieren.“

Die Neonazi-Zelle blieb über Jahre unbehelligt

Was als Konsensrunde begann – Gedenkminute für die Opfer und ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen, Union und Linke Hand in Hand –, wurde mehr und mehr zum Scherbengericht im Parlament. Nicht nur Steinmeier fällt es schwer zu glauben, dass die Neonazi-Zelle von Zwickau über zehn Jahre unerkannt und unbehelligt blieb. Bevor man wieder über einen Aufstand der Anständigen rede, brauche man „erst mal den Anstand der Zuständigen, und davon kann keine Rede sein“, sagte er.

Der SPD-Politiker listete auf, was alles schiefgelaufen ist oder ihm fragwürdig erscheint: V-Leute seien massenhaft mit Geld ausgestattet worden, in einem Fall in Ostdeutschland mit damals 200 000 D-Mark. V-Leute hätten von Anschlägen gewusst und die Tatorte oft erst in letzter Minute verlassen. Und Verhaftungen seien mitunter plötzlich abgebrochen worden. „Warum?“, wollte Steinmeier wissen. Wenn nur die Hälfte der Vorwürfe stimme, dann stecke der Verfassungsschutz in einer schweren Glaubwürdigkeitskrise.

Erfolgschancen ausloten

Mit Macht holt der Staat nach, was jahrelang versäumt wurde. Am Anfang machte sich eine 170-köpfige Sondereinheit an die Arbeit. Nun ermitteln bereits 300 Beamte aus Bund und Ländern bei der Aufklärung der Neonazi-Morde.

Parallel dazu wäre ein NPD-Verbot für Friedrich „sinnvoll“. Zumindest würde man so verhindern, dass die Partei mit staatlichen Mitteln finanziert werde. Er stellte die eigenen Vorbehalte zurück und warnte nur, dass ein Erfolg vor dem Verfassungsgericht nicht einfach sei. „Das ist mit einem Risiko verbunden“, mahnte Friedrich. Genauso zögerlich ist auch seine Kabinettskollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Was auf keinen Fall passieren dürfe, so die Bundesjustizministerin, sei ein erneutes Scheitern des Verbotsverfahrens. Sie will die Erfolgschancen ausloten. Wenn es Gründe gebe, nicht nach Karlsruhe zu ziehen, „müssen wir auch darüber reden.“