Athen. . Der Finanzexperte Lucas Papademos soll als neuer Regierungschef Griechenland aus der Krise führen. Der 64-Jährige genießt nicht nur in Finanzkreisen hohes Ansehen und ist ein anerkannter Hochschullehrer, auch in der Politik hat er einen tadellosen Ruf.

Als gestern sein Name als mutmaßlicher neuer griechischer Ministerpräsident über die Nachrichtenticker lief, war Lucas Papademos noch auf dem Flug von Boston nach Athen. Ob der Harvard-Professor die ihm angetragene Aufgabe annimmt, war zunächst ungewiss. Aber sein Name fällt nicht zum ersten Mal im Zusammenhang mit einem Regierungsamt in Athen.

Bereits vor der Parlamentswahl vom Oktober 2009 versuchte Giorgos Papandreou, ihn zu einer Kandidatur für die Volksvertretung und zur Übernahme eines Ministeramts zu bewegen. Doch Papademos wollte seine Amtszeit als Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht vorzeitig beenden. Nachdem die im Mai 2010 abgelaufen war, ließ sich Papademos immerhin dazu überreden, Papandreou in Finanz- und Wirtschaftsfragen zu beraten.

Diamandouros als weiterer Kandidat im Gespräch

Für das Amt des neuen Ministerpräsidenten in Griechenland ist nach Angaben aus Verhandlungskreisen ein weiterer Kandidat im Gespräch. Neben Papademos komme der ehemalige EU-Bürgerbeauftragte Nikiforos Diamandouros in Frage, hieß es am Montagabend in Athen. Der Nachfolger des noch amtierenden Regierungschefs Giorgos Papandreou soll bis zu Neuwahlen am 19. Februar im Amt sein. Papandreou hatte am Sonntag seinen Rücktritt angekündigt. (dapd)

In diesem Sommer unternahm der Premier einen weiteren Versuch, den parteilosen Professor als Finanzminister in sein Kabinett zu holen. Doch Papademos winkte ab.

Er kann kaum nein sagen

Ein drittes Mal kann er kaum Nein sagen. Dazu ist die Lage des Landes jetzt zu kritisch. Nicht nur in Griechenland ruhen große Hoffnungen auf Papademos. Sein Name soll auch gefallen sein, als EU-Politiker vergangene Woche am Rande des G-20-Gipfels in Cannes über das Schicksal Griechenlands berieten.

Der 64-Jährige genießt nicht nur in Finanzkreisen hohes Ansehen und ist ein ausgewiesener Hochschullehrer, auch in der Politik hat er einen tadellosen Ruf. „Extrem klug“, „extrem angenehm“, „extrem respektvoll“ – so urteilte man in der EZB, als der grau melierte Grieche sich im Mai 2010 dort verabschiedete.

Unermüdlicher Mahner

Bevor er 2002 nach Frankfurt kam, hatte er als Gouverneur der griechischen Zentralbank den Weg seines Lands in die Währungsunion begleitet. Als unermüdlicher Mahner, der Haushaltsdisziplin und Strukturreformen einforderte, machte er sich damals bei den Athener Politikern nicht immer beliebt. Dass die Griechen den Euro bekamen, wenn auch unter inzwischen umstrittenen Voraussetzungen, war auch Teil seines Lebenswerks. Jetzt soll er um den Verbleib seines Landes in der Währungsunion kämpfen.

In der EZB verstand es Papademos, hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen. Frühere Mitarbeiter loben seine diplomatische, verbindliche Art, seine Fähigkeit, die Menschen bei seinen Entscheidungen mitzunehmen und selbst in Krisensituationen große Ruhe zu bewahren. Daraus spricht ein hohes Maß an Gelassenheit. Sie gründet sich auf stabile Fundamente. Papademos ist breit aufgestellt: er studierte am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) Physik und Elektrotechnik, bevor er 1977 in Wirtschaftswissenschaften promovierte. Professuren in Harvard und an der New Yorker Columbia University markieren seine akademische Laufbahn.

Große Herausforderungen

In seiner neuen Rolle als Premier warten auf Papademos allerdings Herausforderungen und Konflikte. Als Banker weiß er um die Dynamik der Finanzmärkte. Er muss versuchen, diese Kräfte zu bändigen und die verunsicherten Anleger zu überzeugen. Er muss auch das Vertrauen der europäischen Partner zurückzugewinnen, das sein Vorgänger Papandreou zuletzt mit wirren politischen Manövern zerstörte. Zugleich muss Papademos versuchen, im Haifischbecken der griechischen Politik zu überleben.

Sein Mandat ist zeitlich eng begrenzt: am 19. Februar sollen die Griechen ein neues Parlament wählen. Das krisengeschüttelte Land geht deshalb jetzt bereits in den Wahlkampf. Die beiden großen Parteien, die sich eben erst zu einer Koalition zusammengerauft haben, werden in den kommenden Wochen nicht nur Freundlichkeiten austauschen. Die Bereitschaft der rivalisierenden Koalitionspartner, unpopuläre Reformen mitzutragen, dürfte nicht sehr groß sein. Papademos muss aufpassen, dass er nicht zwischen die Mühlsteine gerät.