Rom/Brüssel. . EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski sagt: „Die Zukunft der EU wird in Rom und nicht in Athen geschrieben.“ Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU. Wenn sie in der Schuldenkrise scheitert, dann reißt sie ganz Europa mit sich.

Die Wagenkolonne machte sich am Mittwoch Mittag schon bereit für die Abfahrt zum Flughafen, da hatte Silvio Berlusconi seine Hausaufgaben immer noch nicht fertig. Der vom Brüsseler EU-Gipfel ultimativ geforderte Brief mit den konkreten, weiteren Plänen Italiens zum Abbau des Schuldenbergs und zur Ankurbelung der Wirtschaft, er bedürfe „noch einer Überarbeitung“. So sagte es Berlusconis Faktotum, Staatssekretär Gianni Letta, den Journalisten. Dann verschwand er. Konkrete Informationen ließ er nicht zurück.

Der Druck aus Brüssel, insbesondere von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, hatte vor dem zweiten EU-Gipfel gestern Abend in Rom eine Betriebsamkeit und eine Endzeitstimmung ausgelöst wie noch nie. Zu Recht, hieß es in Brüssel. Italien, sagt EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski, stehe für ein Sechstel der europäischen Wirtschaftsleistung: „Die Zukunft der EU wird also in Rom und nicht in Athen geschrieben.“

Was passiert also, wenn dieses Sechstel wegbricht? Und geht das überhaupt? Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft in der EU, seine Industrie die zweitstärkste nach Deutschland. Und anders als im ungleich weniger produktiven Griechenland gibt es einen starken Unterschied zwischen realer Wirtschaftsleistung und dem Zustand der Staatsfinanzen. Die reale Wirtschaft ist – unabhängig davon, was die Regierung in Rom (nicht) macht – im Prinzip solide. Sie leidet seit Jahren an einer erheblichen Wachstumsschwäche, aber sie kann europaweit mithalten. Das hat sich in der ersten Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 an gezeigt: Da sank Italiens Bruttoinlandsprodukt nicht nennenswert tiefer als das deutsche. Und jetzt haben die Exporte wieder so zugelegt, dass in manchen Bereichen schon fast wieder das Vorkrisenniveau von 2008 erreicht ist.

Deutlich weniger solide sehen die Staatsfinanzen aus. Die Verschuldung liegt bei 118 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das ist doppelt so viel wie von den Maastricht-Kriterien erlaubt, und umgerechnet derzeit 1,8 Billionen Euro.

Was sich verändert hat, ist nicht die reale Lage, sondern es sind die Angriffe der Finanzmärkte auf den Euro, die sich zuerst gegen dessen schwächstes Mitglied – Griechenland – gerichtet haben und jetzt auf Italien zielen. Diese Destabilisierung von außen lässt Rom plötzlich nicht mehr als verlässlicher Schuldner dastehen. Italien muss deshalb immer höhere Risikoaufschläge für seine Staatsanleihen zahlen; diese Zinslast könnte so groß werden, dass Rom seine Schulden nicht mehr bedienen kann und im Endeffekt der Staatshaushalt darunter zusammenbräche. Eine Staatspleite Italiens aber fiele dermaßen monumental aus, dass Europa sie nicht verkraften könnte.

Italien muss also massiv gegen die Staatsschulden vorgehen, gleichzeitig die Wirtschaft ankurbeln, die immer schwächere Inlandsnachfrage vor allem. Und die Regierung muss politisches Vertrauen in ihre Handlungsfähigkeit und ihre Entschlossenheit zurückgewinnen. Das scheint im politischen Europa derzeit das Schwierigste zu sein. Das Problem hat einen ganz konkreten Namen: Es heißt Silvio Berlusconi.

Denn in der Sache ist vieles schon beschlossen. Mario Draghi, bisher Chef der italienischen Nationalbank und neuer Präsident der EU, hat das genauso gewürdigt wie die EU-Kommission. Es fehlt nur die Umsetzung; die traut Europa der zunehmend brüchigen italienischen Regierung und ihrem Bunga-Bunga-Premier nicht zu. „Das Problem bist du. Du hast es nur nicht kapiert.“ So soll Finanzminister Giulio Tremonti seinen Regierungschef unlängst angeschnauzt haben.

Doch Berlusconi wollte in Brüssel nur weitere Maßnahmen vorschlagen. Eine Rücktrittserklärung hatte er nicht im Gepäck.