Essen. . Vom Kanzler zum Kanzlermacher: Helmut Schmidt, 92, macht der Republik Peer Steinbrück, 64, als Regierungschef schmackhaft. Dafür nutzt er den Sonntagabend-Talk „Günther Jauch“. Die Frage nach einem Ausweg aus der Euro-Krise wird gar nicht gestellt.

„Zug um Zug“ heißt das 320 Seiten dicke Buch, das Altkanzler Helmut Schmidt und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück gemeinsam geschrieben haben. Zug um Zug drängt der alte Hamburger den etwas jüngeren Hamburger den Deutschen auch als Bundeskanzler auf.

Erst im „Spiegel“, dann bei „Günther Jauch“ erklärt er, dass „wir politische Führer brauchen, die wissen, wovon sie reden“. Steinbrück, sagt er, „weiß das“. Das Publikum ist begeistert. Bei Jauch zeigt es das auch.

Der Anwärter-Anwärter Steinbrück zögert

Der frisch gebackene ARD-Moderator ist sichtlich stolz, dass er nach der Jetzt-Kanzlerin Merkel auch den Ex-Kanzler Schmidt und den Vielleicht-Kanzler Steinbrück, letztere gemeinsam, auf dem Stuhl hat. Es geht also eine Stunde lang um die künftige deutsche Regierungsspitze, um die Krise des Euro, der Banken, die des europäischen Demokratieideals und schließlich die der SPD. Wird sie, obwohl sie Steinbrück offensichtlich ja so gerne auch nicht mag, den pragmatischen Mann zum Herausforderer Angela Merkels küren?

Es ist die Frage, die Schmidt wohl heiß findet. In aktuelle Themen mische er, der Privatmann, sich nicht ein. Und er, Steinbrück, werde er nun kandidieren? Auch der Anwärter-Anwärter zögert. Auch ihm ist es zu unbequem an dieser Stelle. Erst müsse Sigmar Gabriel, der Parteichef, ihn fragen. Das werde nicht jetzt sein. Die Partei könne sich zwei Jahre vor dem Wahltermin nicht in Selbstbeschäftigung stürzen.

Genug Stoff für anhaltenden Applaus

Eigentlich passiert also in dieser Stunde recht wenig, zumal die Ausrufung Steinbrücks als Kanzlerkandidat durch Schmidt da schon 12 Stunden auf dem Nachrichtenmarkt ist und auch in dem Buch steht, das am Donnerstag in Berlin vorgesellt wird. Aber natürlich bekommen die Deutschen, die gestern wohl zu Millionen zugeschaltet haben dürften, genug Stoff für anhaltenden Applaus.

Sie bekommen zum Beispiel viel Selbstlob der Buchautoren: Steinbrück, sagt Schmidt, sei „knapp daran“ gewesen, in der großen Koalition schuldenfreie Haushalte vorzulegen, bis ihm die Bankenkrise den strich durch die Rechnung gemacht habe. Was natürlich tatsächlich richtig ist.

Sie bekommen Lob, wenn sie zu den jungen Leuten gehören, die derzeit auf die Straßen gehen. „Ich habe Verständnis für die, die protestieren, sagt der alte Herr, der natürlich auch an diesem Abend – aus Protest oder Freiheitsliebe? – im Studio gerne raucht.

„Krise könnte weiter eskalieren“

Es geht aber auch gegen die Bundesregierung, gegen „die Regierenden in Europa“, die in Sachen Griechenland und Euro „zu viel Zeit vertan haben“ (Schmidt), gegen die Banken, „denen wir schon den Hintern gerettet haben“ (Steinbrück) und auch um die Frage, was nun noch passieren wird: Nicht Inflation bei uns, aber gefährliche Arbeitslosigkeit in Griechenland sieht der Alt-Kanzler, und „diese Krise könnte weiter eskalieren, wenn der Prozess so erfolglos bleibt“, sagt Steinbrück. Dann nämlich fürchtet er auch um das Projekt Europa: „Diese Rettungsschirme stoßen an die Grenzen der Zustimmung. Das macht ein Eintreten für Europa noch viel schwieriger“.

Doch lohnt dieses Eintreten überhaupt? Jauch führt durch eine Nachfrage Helmut Schmidt auf ein sehr glattes Parkett, auf dem aktive Politiker sofort gerutscht wären und das sie fast zu Kandidaten für die Beobachtung durch den Verfassungsschutz gemacht hätte. Der Moderator zitiert den Gast aus dem Buch (was bei Strafe von 50 000 Euro anderen noch verboten ist) mit dem Satz: „Man darf die Bedeutung der Demokratie für die Welt nicht überschätzen. Man darf die Demokratie nicht idealisieren“.

Schmidt: Chinas Kommunisten regieren erfolgreich

Schmidt aber heißt nicht umsonst Schnauze mit Hausnamen. Er legt nach: „Wir sollten uns nicht einbilden, dass unsere Art zu Regieren für die Welt das Ideal ist. Die chinesischen Kommunisten von heute finde ich erfolgreich“. Das Publikum goutiert die gewagte Äußerung fast frenetisch, und vielleicht deswegen wird es Steinbrück angst und bange. Der Co-Autor traut sich den kleinen Widerspruch: „Ergänzungsbedürftig“ sei das. „Wir Europäer sollten ein Interesse daran haben, unser Modell attraktiv zu halten“.

Manches ist, als bei Jauch, Schmidt und Steinbrück um 22.45 Uhr die Zeit abläuft, also beantwortet, anderes wiederum nicht. Und vor allem steht noch eine ganz große Frage im Raum, eine, um die sie sich zur gleichen Zeit in Brüssel die Köpfe heiß reden: Wie kommen wir aus dieser Euro-Krise heraus?

Hat Jauch sie überhaupt gestellt? Schmidt und Steinbrück haben sie auf jeden Fall nicht beantwortet.