Berlin. . Der Finanzminister vollzieht einen Kurswechsel: Jetzt soll also doch eine „Hebelung“ eingebaut werden, um den Euro-Rettungsschirm EFSF wirksamer zu machen. Die Sache ist riskant und viele im Bundestag fühlen sich ausgetrickst.
Die Opposition im Bundestag zeigt sich empört über die neueste Wendung im Euro-Rettungsdrama: „Eine unerträgliche Situation“, schimpfte am Mittwoch SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, „so kann man mit dem Parlament nicht umgehen.“
Auch aus der Unionsfraktion gibt es Gemurre, weil Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in letzter Minute vor dem Euro-Gipfel am Sonntag nun doch in Aussicht stellt, was er bisher partout nicht zugeben wollte: Der Euro-Rettungsschirm EFSF wird am Ende doch ein viel größeres Volumen haben, als dem Bundestag bei seiner Entscheidung vor zwei Wochen bekannt war.
Die Haftungssumme bleibt
Eine Garantiesumme von 440 Milliarden war bisher vereinbart, mit der der Schirm überschuldeten Euro-Ländern im Notfall Kredite geben, Staatsanleihen aufkaufen oder Banken stützen würde. Jetzt könnte die Schlagkraft mit Hilfe privater Investoren auf die fast unvorstellbare Summe von einer Billion Euro erhöht werden, vielleicht sogar noch mehr – indem der Schirm zum größeren Teil nicht direkt als Kreditgeber funktionieren würde, sondern als Teilkasko-Versicherung für private Investoren, die ein Mehrfaches der Summe einbringen sollten.
Der Charme der Idee: Die Haftung der Euro-Staaten würde nicht erhöht. „Maximale Effizienz“ heißt die offizielle Parole: „Der Motor soll nicht frisiert werden, aber es geht darum, möglichst weit mit dem Sprit zu kommen“, sagte Schäubles Sprecher. Die deutsche Haftungsobergrenze bleibe bei 211 Milliarden Euro, versicherte der Sprecher. „Punkt, Aus, Basta“. Alles andere würde die Koalition auch nicht mehr mitmachen.
Aber das Risiko steigt
Allerdings: Das Risiko, dass die Haftung tatsächlich eintritt und Steuergelder verloren gehen, würde mit dem Modell wohl steigen. Falls es überhaupt funktioniert: Ob sich Anleger motivieren lassen, Staatsanleihen kriselnder Staaten zu kaufen, wenn die Euro-Staaten für 20 oder 30 Prozent des möglichen Verlustes haften, ist offen. „Es handelt sich um eine Spekulation“, räumt ein führender Koalitionspolitiker ein. „Man muss die Märkte beeindrucken in der Hoffnung, dass sie es akzeptieren, auch wenn es nicht zusätzlich reales Geld gibt.“
Wirklich überrascht ist indes niemand mehr in Berlin: Dass das bisher vereinbarte Volumen des Rettungsschirms nicht ausreicht, wenn nach Griechenland auch größere Euro-Staaten wie Italien oder Spanien in Schieflage geraten, hatte sich schon beim Bundestagsbeschluss vor zwei Wochen abgezeichnet; damals kursierten bereits Modelle sogenannter Hebelungen, nur Schäuble wollte davon nichts wissen. Er sprach von Hirngespinsten. Die Opposition wirft ihm nun Täuschung vor.
Ist der Zeitdruck künstlich?
Allerdings agierten Politiker aller Fraktionen am Mittwoch verhalten – denn die Details der neuen Lösung kannte kaum jemand. Die genauen Leitlinien wurden nocham Abend in Brüssel verhandelt. Die Zeit drängt, denn die erneute Erweiterung des Rettungsschirms ist ein wichtiger Teil des Pakets, mit dem der EU-Gipfel am Sonntag eine nachhaltige Beruhigung der Finanzmärkte erreichen will. Nicht nur die Geheimniskrämerei, auch der womöglich künstlich erzeugte Zeitdruck sorgt aber für breiten Unmut im Parlament. Es unterbricht am Donnerstag seine Plenarsitzung, damit die Fraktionen über das Konzept beraten können.
Nach den Vorstellungen der Koalition ist der Parlamentsbeteiligung genüge getan, wenn danach der Haushaltsausschuss formell zustimmt. Das sehen SPD und Grüne anders, auch wenn sie die Lösung als nicht ablehnen: „Das Verlustrisiko steigt, es ist nicht mehr der gleiche Rettungsschirm. Der Bundestag muss neu entscheiden“, sagt SPD-Politiker Oppermann. Erzwingen kann er das allerdings nicht – und die Koalition wird alles tun, um eine Abstimmung zu vermeiden, bei der ihre eigene Mehrheit wohl gefährdet wäre.