Essen. Gaddafis Sohn Saif hat in seiner Studentenzeit in München ordentlich über die Stränge geschlagen. Die Gerichte vor Ort gingen jedoch außerordentlich großzügig um. Jetzt wird wegen Strafvereitelung gegen den Münchener Oberstaatsanwalt ermittelt.

300.000 Dollar Taschengeld im Monat sind selbst im teuren München ausreichend für ein bequemes Leben. Der Medizinstudent Saif al Arab weiß es auszugeben. Er amüsiert sich mal im „Lenbach“, mal im „4004“ in der Landsberger Straße, und hier will er mit seinen Freunden auch den 24. Geburtstag feiern. Es ist der 18. November 2006. Champagner fließt. Der BH einer Freundin fällt. Türsteher greifen ein. Es kommt zur Rauferei. Ein junger Russe wird verletzt. Die Staatsanwaltschaft muss ermitteln.

Keine übliche Disko-Schlägerei. Saif al Arab war der Sohn des libyschen Diktators Gaddafi, der derzeit auf der Flucht vor den siegreichen Rebellen ist. Ob Saif in den Revolutionswirren von Tripolis, in das er Anfang 2011 zurückkehrte, umgekommen ist, ist unbestätigt. Aber Bayern hat aktuell einen Skandal mehr.

„Wegen geringen öffentlichen Interesses“

Denn die Staatsanwaltschaft in München hat das Verfahren 2006 sehr schnell eingestellt wegen „geringen öffentlichen Interesses“. Mit anderen, schwereren Vorwürfen gegen den Junior ist sie ähnlich umgegangen. War der Tyrannen-Sohn für die Ermittler tabu? Haben sie ihm sogar Informationen zugespielt, sodass er belastende Funde vor einer Razzia wegräumen konnte? Nürnbergs Anklagebehörde ermittelt seit dieser Woche gegen den Münchener Oberstaatsanwalt August Stern. Es geht um Strafvereitelung im Amt und um Geheimnisverrat.

Verdacht auf Waffenschmuggel

Die Sache ist schillernd und brisant. Es war ein buntes Leben, das der Youngster in München führte. Das Medizinstudium? An der TU wurde er selten gesehen. Dafür ruinierte er das Gehör der Mitbürger mit den 110 Dezibel des getunten Ferrari, den er neben Hummer, Cadillac und Bentley fuhr. Vier Mal stoppte ihn Polizei bei Trunkenheitstouren, er musste den Führerschein abgeben. Zu Unrecht führte er das Konsularkennzeichen CC. Als Saif in den Verdacht des Waffenschmuggels geriet, musste die Staatsmacht handeln. Eigentlich.

Doch da war wohl eine Hemmschwelle. Wie Libyens Diktator auf einen unbotmäßigen Umgang ausländischer Behörden mit den Söhnen reagierte, wurde später im Fall der Schweiz deutlich. Als Saifs Bruder Hannibal in Genf Bedienstete misshandelte, ein Sondereinsatzkommando die Hotelsuite stürmte und Hannibal in Handschellen abgeführt wurde, stoppte der Potentat nicht nur die Öllieferungen. Er nahm gleich Schweizer Geschäftsleute in Geiselhaft.

Dinner mit Polizeichef

„Aufgrund der Gefahr erheblicher diplomatischer Konsequenzen musste sensibel vorgegangen werden“, sagte Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) in diesem Frühjahr vor dem Landtag. Doch so sensibel? Stern, so wirft die Initiative Bayerischer Strafverteidiger dem Ankläger vor, wandte sich zur Abklärung der diplomatischen Immunität des Gaddafi-Sohnes nicht etwa an das Auswärtige Amt. Er ging direkt in Libyens Botschaft. Er kündigte dem Botschafter die Durchsuchung der Villa des Studenten an. Als es zur Razzia kam, gab es dort keine Waffe mehr.

Stern steht nicht alleine in der Kritik. Münchens Polizeichef Wilhelm Schmidbauer ließ sich von Saif zum Dinner im Bayerischen Hof einladen. Dann erklärte er, er habe den Herrscher-Sproß überzeugt, sich im Gastland rechtstreu zu verhalten. Was der auch tat. Im März 2011 meldete sich Saif preußisch korrekt ab.