Den Berliner Auftritt des türkischen Präsidenten Gül als selbstbewusst zu bezeichnen, wäre eine glatte Untertreibung. Seine Rede an der Humboldt-Universität war eine Demonstration der Stärke. Motto: Wenn ihr uns in der EU nicht wollt – auch egal. Wir brauchen euch längst nicht mehr.
Angesichts einer prosperierenden Wirtschaft mit zweistelligen Wachstumsraten und der Aussicht, sich im arabisch-muslimischen Raum als neue Führungsmacht etablieren zu können, dreht die türkische Politik auf. Präsident Gül lässt in Berlin die Muskeln spielen, zuvor ließ sich Regierungschef Erdogan in den Ländern des arabischen Frühlings für seinen anti-israelischen Kurs bejubeln.
Die Botschaft, vor allem an die EU, ist klar: Die Türkei ist kein Bittsteller mehr, sondern präsentiert sich auf Augenhöhe. Ganz offensichtlich will das Land am Rand Europas in einem sich neu formierenden Weltgefüge zur Mittelmacht aufsteigen. Tatsächlich ist die Türkei dabei, EU-Länder wie Italien oder Frankreich wirtschaftlich abzuhängen.
Europa muss sich also auf ein neues Verhältnis zu Ankara einstellen. Aus dem vermeintlichen „privilegierten Partner“ wird ein angriffslustiger Konkurrent.