Boxer kennen die Gefahr. Wer zu lange in der Ringecke steht und nur noch einsteckt, landet bald auf den Brettern. 14 Monate bevor Amerika zur Präsidentenwahl schreitet, hat der Amtsinhaber das Dilemma erkannt und seine Taktik geändert. Mit seinem Spar- und Steuer-Konzept versucht Präsident Barack Obama aus der Defensive zu kommen. Es wurde auch höchste Zeit. Denn der Mann im Weißen Haus hat seit seiner Wahl viele Anhänger enttäuscht.
Die steigende Arbeitslosigkeit in den USA und die nachhaltigen Begleiterscheinungen der Bankenkrise haben viele Amerikaner verbittert. Würde der erste Mann im Staate bereits in diesem Herbst und nicht erst in gut einem Jahr gewählt, die Zeit des Hoffnungsträgers von 2008 wäre wohl vorbei. Und dass, obwohl die oppositionellen Republikaner bislang keinen Gegenkandidaten aufbieten, bei dem man die Dinge in besseren Händen wüsste.
Im Umfeld des Präsidenten hat man die Frustration im Volk lange unterschätzt. Jetzt soll im Eiltempo nachgebessert werden. Obamas Konzept für die Staatsfinanzen verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll mit der Reichensteuer und dem weitgehenden Verzicht auf Einschnitte ins soziale Netz die verstimmte demokratische Basis befriedet und für den Wahlkampf mobilisiert werden.
Auf der anderen Seite stellt Obama die durch ihren radikalen Tea-Party-Ableger bis zuletzt auf Total-Blockade getrimmten Republikaner vor Argumentationsnöte. Wie sollen sie ernsthaft erklären, dass es ungerecht oder gar klassenkämpferisch wäre, wenn Milliardäre künftig nicht mehr absurderweise weniger Einkommensteuer zahlen als ihre Sekretärinnen? Obama weiß für amerikanische Verhältnisse überwältigende Umfrage-Mehrheiten zwischen 60 und 70 Prozent hinter sich, wenn es um die Frage der Steuergerechtigkeit geht.
Gelingt sein politischer Schachzug, zwingt öffentlicher Druck die in Umfragen nicht minder von Geringschätzung gebeutelten Republikaner auf einen Kompromisskurs, kann der Präsident tun, was längst viele bei ihm vermissen: endlich ein bisschen liefern. Es wäre die Mindestvoraussetzung für seine Wiederwahl.