Stralsund.

Blauer Himmel über der Ostsee. Ein guter Tag für Erwin Sellering. TUI kündigt an, von Düsseldorf und Dortmund aus Pauschalreisende nach Usedom zu fliegen. Sieben Firmen werben um die 90 Mitarbeiter des gerade geschlossenen Rügener Feinkostwerks Homann. Das Forsa-Institut sagt dem Ministerpräsidenten den Wahlsieg voraus. 34 Prozent wollen seine SPD wählen, 29 Prozent die CDU und gerade 15 Prozent die zerstrittene Linke.

Erwin Sellering (61), der potenzielle Sieger der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag, läuft mit 200 roten Rosen im Arm über den Marktplatz von Waren an der Müritz: „Gehen Sie zur Wahl. Und keine Stimme für die NPD“. Eine ältere Dame stützt sich auf den Rollator. Sellering, ganz ruhrdeutsch: „Son Wägelken is gut.“

Es ist unüberhörbar: Der Schweriner Regierungschef kommt aus Sprockhövel. Er ist in Hattingen zur Schule gegangen, war in Gelsenkirchen Sozialrichter. 1994, wie andere Abenteuerlustige nach der Einheit im Nordosten angekommen, trat er der SPD bei und machte Karriere. Mitten in der Wahlperiode übernahm er 2008 die Regierung vom Sozialdemokraten Harald Ringstorff. 58 Prozent, so Forsa, sind mit dem Mann zufrieden.

Es fehlen die Themen

Dem Land geht es wie dieser Stimmung: nicht schlecht. Binnen fünf Jahren sank die Arbeitslosigkeit von 190 000 auf 100 000. Es gibt keine Neuverschuldung. Die Abwanderung der Jüngeren ist gestoppt. „Wir haben mehr Ausbildungsplätze als Schulabgänger“, erzählt Sellering. Jetzt will er „adäquate Löhne“, schmiedet ein „Bündnis für Tarife“ mit den Unternehmen und fordert den Mindestlohn. Der sei „das einzig wirklich umstrittene Wahlkampfthema“ zwischen SPD und CDU.

Wie bitte? Wahr ist: Sellering, ein linker Sozialdemokrat, der den Abzug aus Afghanistan fordert und davor warnt, die DDR auf den Begriff des Unrechtsstaats zu reduzieren, regiert bisher mit der CDU. Beifahrer in der rot-schwarzen Koalition ist Lorenz Caffier, der Innenminister. Er kommt aus dem Osten.

Caffier ist hemdsärmelig, ein Kumpeltyp. „Angela, herzlich willkommen zu Hause“, sagt er. Caffier und die Kanzlerin stehen vor dem Rathaus in Stralsund, wo sie einigen hundert Leuten einiges zu sagen haben. Unstrittiges, weil in ei­ner Großen Koalition beide Parteien den Aufschwung Nordost für sich verbuchen. Und Strittiges: Nie der Linken glauben. Nie die Linke wählen. Nie die Linke zum Partner nehmen. „Das“, so Merkel, „ist meine Botschaft an die SPD.“

„C wie Zukunft“

Ob SPD oder CDU: Macht man so Wahlkampf? Schon der CDU-Slogan „C wie Zukunft“ wurde zum Brüller im Internet. Es fehlen, von der drögen Kreisreform abgesehen, die Themen.

Und es laufen an der Ostsee auch noch immer mehr Touristen herum als Einheimische. Vielleicht 100 der Rosen, die der Ministerpräsident in Waren verteilt, nehmen die Gäste mit ins Hotel: „Werden Sie uns wählen“, fragt Sellering eine Dame. „Wir sind us dr Schwiiz“. Auch Caffier hat Pech. Beim Merkel-Auftritt wäre es voller, wäre er vernünftig angekündigt. Aber die Städte wollten auf Plakatierungen in den alten Zentren verzichten, um Urlauber nicht zu „stören“. Die NPD nutzte das, klebte die Straßen mit ihren „Ausländer-raus“-Parolen zu. Der Skandal war da. Der einzige.

Rot-Rot ist möglich

Viel spricht an der Ostsee für eine rot-schwarze Neuauflage. Denn läge die CDU vorn, wäre sie raus aus der Regierung. Dann gingen SPD und Linke miteinander. Auch sonst könnte Sellering mit Links. Er hält das offen. Kein Wort, ob er es wirklich plant. Politisch steckt längst mehr Ost als Ruhrgebiet in ihm. Und gefühlsmäßig? Vor einem Jahr war er zuletzt in Hattingen. Klassentreffen. „Wunderbar“.