Berlin. . Auch aus der Union wächst die Kritik an Angela Merkel. Die Kanzlerin wirkt mutlos bei der Europa-Frage. Sozialministerin von der Leyen zeigt hingegen Leidenschaft bei diesem Thema. Bringt sie sich bereits in Stellung?

Jeder große Kanzler hat um sein Amt kämpfen und auch etwas riskieren müssen. Nun ist Angela Merkel (CDU) gefordert. Mit dem September bricht ein Herbst der Entscheidungen an. Keinen Tag ihrer Kanzlerschaft habe sie bereut, „nein, nie“. Bloß sei gerade „sehr viel zu tun“, sagte sie in „Bild“. Tiefer lässt sie nicht in ihr Inneres blicken.

Um eine Schicksalsfrage geht es, um den Euro. Der Bundestag stimmt am 23. September über den Rettungsfonds ab. Die Zahl der Zweifler bei Union und FDP nimmt zu. Mehrheit: prekär. Stimmung: besorgniserregend.

Beispiel Ruprecht Polenz. Der Außenpolitiker fürchtet, dass die CDU dabei sei, „ihren Ruf als Europapartei ankratzen zu lassen“. Kritik an Merkel formuliert er moderat. Es werde nicht immer „hinreichend deutlich“, dass sie eine überzeugte Europäerin sei. Allein, was vermisst die CDU? Große Gefühle, bessere Erklärungen? Mut vielleicht?

Merkel will EU zusammenhalten

Leidenschaft führt Ursula von der Leyen vor. Europa ist für sie „eine in die Jahre gekommene Romanze“. Ihr Ziel seien die Vereinigten Staaten von Europa, verriet die Sozialministerin dem „Spiegel“. Nun kann man das so oder so deuten: Als Ergänzung zu Merkel, die nicht so gefühlvoll über die EU redet. Oder als Empfehlung. Denn bei einer Niederlage am 23. September wäre ein Rücktritt fällig. Ist von der Leyen die Ersatzkanzlerin?

Die letzte Woche war für Merkel grauenvoll. Am Dienstag wurde die Skepsis der Unions-Fraktion deutlich. Dann meldeten sich Altkanzler Helmut Kohl und Bundespräsident Christian Wulff kritisch zu Wort. Sorgen machte sich Bundestagspräsident Nor­bert Lammert – wegen der Rechte des Parlaments. Am Freitag wurde bekannt, dass die CSU heute ein Europapapier vorstellen will, das ihre rote Linie markiert: Keine Transferunion, keine Vergemeinschaftung der Finanzen. Zur Not sollen einige Staaten die Eurozone verlassen.

Merkel will im Gegenteil die EU zusammenhalten. Denn: Fällt Griechenland aus, könnten erst Portugal, Irland, alsbald Spanien und Italien folgen. Merkel ist so entschieden pro Europa wie Kohl – nur nicht so wagemutig.

Bedeutung erkannt

Auf die Frage nach ihrem Mut erzählte Merkel mal, wie sie als Schülerin 45 Minuten brauchte, bevor sie vom Dreimeterbrett sprang. So war sie damals, und so blieb sie bis heute: Sie ist kopfgesteuert und braucht eine große Anlaufzeit. Letztes erwies sich in der Krise als Nachteil.

Aber: Erste Veränderungen sind unverkennbar. Vor der Fraktion zeigte sie Herz für Europa. Für den CDU-Parteitag setzte sie eine Grundsatzdebatte dazu an. Zuvor warten alle erst mal den 7. September ab. Dann fällt das Verfassungsgericht ein Urteil, das Europa, den Euro, das Krisenmanagement und die Parlamentsrechte betrifft. Es ist so wichtig, dass die Kanzlerin eine Russland-Reise absagte. Sie will die Deutung des Urteils nicht anderen überlassen. Und was nun ihren Mut betrifft, so ließe auch er sich unter Beweis stellen: mit der Vertrauensfrage im Bundestag. Große Kanzler haben es getan.