Berlin.. Heiner Geißlers Schlussstrich: Nach quälenden Stunden Debatte ohne Aussicht auf ein befriedigendes Ergebnis präsentiert er nun den Plan für einen völlig neuen Bahnhof. Einen, der unten und oben liegt.

Heiner Geißler, 80, hat die vielleicht spannendsten Wochen seines hohen Alters hinter sich. Seit Oktober 2010 schlichtet der CDU-Politiker im Streit um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Nach neun Großrunden, einem „Stresstest“ mit 15000 Arbeitsstunden samt Überprüfung durch das unabhängige Schweizer Institut SMA wollte er nun den Schlussstrich ziehen.

Er tat es mit einem Paukenschlag. Nach sieben quälenden Stunden Debatte ohne Aussicht auf ein befriedigendes Ergebnis präsentierte er am frühen Freitagabend auf wenigen Seiten den Plan für einen völlig neuen Bahnhof. Die Überschrift: „Frieden für Stuttgart“.

Es ist ein Kompromiss von Oben und Unten, von Kopf- und Tiefbahnhof. Der Regionalverkehr bleibt, wo er ist. Hochgeschwindigkeits­züge sollen in einer durch­gehenden Röhre unter der Erde halten. Vieles ist dabei offen: Der Zeitraum für den Bau, denn es müsste neu geplant werden, die Kosten. Obwohl Geißler von zwei bis drei Milliarden Euro spricht, was weniger wäre als beim Tiefbahnhof.

Das Dilemma: Uneinigkeit über Stuttgart 21

Geißler hat den Coup mit den Schweizer SMA-Experten heimlich eingefädelt. Erst am heutigen Freitag hat er den Bund und die Landesregierung informiert. Und er hält es für den einzigen Weg, das große Dilemma der Stadt und auch der baden-württembergischen Landes­regierung zu überwinden: Die Uneinigkeit über Stuttgart 21.

Dabei räumt auch der CDU-Politiker ein, dass die heutigen Bahnpläne für einen Tiefbahnhof die von ihm gestellten Forderungen erfüllen. „Der Stresstest ist bestanden.“ Zu dem Ergebnis waren auch die Experten gekommen. Nur: Die Gegner, so die Erkenntnis der Schlussrunde, werden sich darauf nicht einlassen.

„Sonst versteht das kein Mensch“

Geißler hat diese niederschmetternde Einsicht in einem seltenen Demokratie-Experiment gewonnen. Befürworter und Gegner waren ­dabei in allen Diskussionen gleichberechtigt beteiligt. Es spielte keine Rolle, dass Parlamente dem Vorhaben längst zugestimmt hatten. Und nie wurden komplexe technische Vorgänge so volksnah erklärt und debattiert. Der Schlichter selbst hat die Fachleute bei Bahn und Bahnhofsgegner ständig dazu ermahnt, „sonst versteht das kein Mensch“.

Der Mann will dies alles ja als Blaupause für die Art und Weise, wie Deutschland künftig mit Großprojekten und dem Widerstand dagegen ­umgeht. Dass Geißlers letzter Auftritt im Stuttgarter Rathaus bis zur Vorlage des Kompromissplans in äußerst gereizter Stimmung stattfand, half in diesem Sinn nicht weiter.

Bahn „völlig verblüfft“

Ob man denn unbedingt das ­„Weiße im Auge des Feindes sehen wolle“, hatte Geißler an irgendeinem Punkt verzweifelt gerufen. Sein Dilemma: Die einen wollen bauen. Die anderen nicht.

Bahn-Manager Volker Kefer ist, wie alle anderen, durch den Geißler-Plan völlig „verblüfft“ worden. „Ein echter Geißler“, findet er. „Dieser Plan würde uns zurückwerfen“, glaubt die CDU im Landtag. Sie ist heute aber nur noch Opposition.

Für die neue grün-rote Landesregierung, selbst gespalten in der Bahnhofs-Frage, ist die Schlichtung ohnehin nur ­Vorlauf für eine endgültige Entscheidung. Sie setzt auf die Volksabstimmung, die über Bau oder Nichtbau entscheidet. Auch das wird noch schwierig: Können Schwaben und Baden überhaupt über ein Bundesprojekt abstimmen? Viele Fragen sind ungeklärt.

Für Geißler ist die Sache jetzt beendet. Er will das wei­tere Geschehen „interessiert verfolgen“, sagte er Spiegel-Online. „Ansonsten finden sie mich in den Bergen und beim Bücherschreiben“.