Hagen/Berlin. .
Die Einkommensschere in Deutschland geht auf. Einer der Schuldigen dafür ist die Leiharbeit. Sie wächst und wächst - bundesweit und auch im Sauerland.
Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Zahl der Beschäftigten steigt. Doch neue Jobs entstehen hauptsächlich in der Zeitarbeit. Das Statistische Bundesamt zählte hier im vergangenen Jahr 742 000 Beschäftigte - ein neuer Höchststand und ein Plus von knapp einem Drittel im Vergleich zum Vorjahr. Mehr als die Hälfte des gesamten Beschäftigungsanstiegs im vergangenen Jahr, genau 57 Prozent, gehen damit auf das Konto der Leiharbeit.
Die Entwicklung kennt auch der Gewerkschafter Michael Hermund nur zu gut - und sie bereitet ihm Sorge. Seit der Wirtschaftskrise sei die Leiharbeit in der Region „sprunghaft angestiegen“, hat der Vorsitzende der DGB-Region Ruhr Mark beobachtet. „Der Beschäftigungsaufbau geht überwiegend über Leiharbeit“. So gebe es im Märkischen Kreis jetzt 5000 bis 6000 Leiharbeiter. In Zeiten der Krise waren es gerade einmal 1000 gewesen.
Nach Hermunds Einschätzung geht es den Firmen nicht nur um den Ausgleich von Beschäftigungsspitzen. Viele Firmen entledigten sich ihrer Stammkräfte, kritisiert der Gewerkschafter, „setzen Leiharbeiter für 6 bis 7 Euro Stundenlohn ein, wo sonst Facharbeiter für 14 oder 15 Euro gearbeitet haben“. Inzwischen gebe es Firmen, die 15 bis 20 Prozent Leiharbeiter einsetzen, sagt Hermund.
Dass Leiharbeiter deutlich schlechter bezahlt werden, ist nicht nur die Klage eines Gewerkschaftsfunktionärs. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ( BA) betrug das mittlere Einkommen einer Vollzeitarbeitskraft 2009 für Leiharbeiter 1393 Euro. Brutto und inklusive aller Zulagen. Das Durchschnittseinkommen lag zugleich mit 2676 Euro fast doppelt so hoch. Selbst Ungelernte verdienten 900 Euro mehr.
An solchen Zahlen liegt es, dass Leiharbeit längst automatisch mit Niedriglohn verbunden wird. Die Rechnung geht indes nach Beobachtung des DGB nicht mehr in allen Bereichen auf. „Den Leiharbeitsfirmen gehen die Fachkräfte aus“, weiß Carmen Tietjen, Arbeitsmarktexpertin beim DGB in Nordrhein-Westfalen, um höhere Löhne kämen die Firmen künftig nicht mehr herum. In der Pflegebranche würden jetzt schon Zuschläge bezahlt, berichtet auch der Ruhr-Mark-Gewerkschafter Hermund.
Extrem ausgeweitet hat sich der Niedriglohnsektor aber nicht durch die Leiharbeit, sondern vornehmlich durch den Anstieg bei den Minijobs. 7 Millionen davon gibt es bundesweit, 1,7 Millionen in NRW. Für Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigen diese Zahlen, dass „die Politik die Reformschraube überdreht“ hat. Das Plus bei den Minijobs ist ein wesentlicher Grund für den Rückgang der Löhne in den unteren Einkommensschichten. Aber nicht der einzige. Denn seine Daten, entnommen dem Sozioökonomischen Panel (Soep; einer sich jährlich wiederholenden Befragung), zeigen auch, dass die untere Mittelschicht deutlich verloren hat (16 Prozent Reallohnverlust von 2000 bis 2010), dass auch die Einkommen derjenigen real gesunken sind, die immer in Lohn und Brot standen.
Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), macht sich deshalb für einen Mindestlohn stark. Die Auswüchse im Niedriglohnsektor seien „beschäftigungspolitisch nicht zu rechtfertigen“, sagte er Frankfurter Rundschau.
Die Gewerkschafter werden es gerne hören. Im Mindestlohn sieht Hermund die Grundvoraussetzung, um „den schwarzen Schafen das Wasser abzugraben“. Tietjen nennt natürlich noch gleichen Lohn für gleiche Arbeit im Leiharbeitssektor. Der Druck auf die Politik müsse erhöht werden, sagt die DGB-Frau: Sonst werde die Gesellschaft schon bald mit Altersarmut konfrontiert.