Bonn. . Die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche sollen jetzt wissenschaftlich aufgearbeitet und somit die Ursache „für die ungeheuerlichen“ Vorfälle erforscht werden. So soll eine bessere Vorsorge ermöglicht werden.

Die katholische Kirche will die Missbrauchsfälle an Minderjährigen durch Geistliche wissenschaftlich aufarbeiten. Dazu sei eine Vereinbarung über zwei Forschungsprojekte getroffen worden, sagte Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für alle Fragen im Zusammenhang des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen im kirchlichen Bereich, am Mittwoch in Bonn. Durch die Arbeit soll die Vorsorge verbessert werden.

Bisher habe die Deutsche Bischofskonferenz keine Opferzahlen herausgegeben, weil es noch keine einheitlichen Kriterien gebe. Durch die unabhängigen Experten solle nicht nur formal Datenmaterial erhoben werden, sondern auch die Ursache „für die ungeheuerlichen“ Vorfälle erforscht werden. Die Forschungsprojekte haben bereits Mitte April begonnen und werden von Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) und von Norbert Leygraf von Universität Duisburg-Essen in Zusammenarbeit mit zwei Medizinern aus Ulm und Berlin geleitet.

Zahl der Missbrauchsfälle neunmal höher

Die Deutsche Bischofskonferenz hatte sich einstimmig dafür entschieden, die Missbrauchsfälle von unabhängigen Experten erforschen zu lassen. Weltweit gebe es keine vergleichbare Aufarbeitung, wie die katholische Kirche in Deutschland es derzeit handhabe, sagte Pfeiffer.

Nach 12 bis 18 Monaten soll voraussichtlich der erste Zwischenbericht veröffentlicht werden, wie Pfeiffer sagte. In den beiden Projekten sollen Missbrauchsfälle seit 1945 untersucht werden. Dafür werden alle Fälle erforscht, die zwischen 2000 und 2010 gemeldet wurden. Mindestens 100.000 Personalakten von Kirchenangehörigen in ganz Deutschland werden analysiert. Im Bereich des Erzbistum München und Freising seien bereits rund 13.000 Akten untersucht worden - dabei habe man festgestellt, dass die Zahl der Missbrauchsfälle neunmal höher als angenommen sei, sagte Pfeiffer.

Zölibat offenbar kein Grund für Missbrauch

Laut Leygraf ist der Zölibat, also das Gelübde lebenslanger sexueller Enthaltsamkeit, nach Ergebnissen einer Studie aus den USA nicht der Grund für gehäufte Missbrauchsfälle. Zum einen sei die Zahl der Verbrechen seit den 80er Jahren zurückgegangen, zum anderen hätten Priester eine Vielzahl von Möglichkeiten, um gegen den Zölibat zu verstoßen, sagte Leygraf. Tatsächlich hätten in einer Befragung in den USA 80 Prozent aller Priester angegeben, dass sie sich mindestens schon einmal nicht an das Zölibat gehalten hätten.

Mit Blick auf den Leitfaden des Vatikans - „De Crimine Sollicitationis“ -, das den Umgang mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche regelt und Diskretion verlangt, sagte Ackermann, dass die in Auftrag gegebenen Studien „mit dem übereinstimmen, was Rom vorgibt“.

In der Katholischen Kirchen waren seit dem vergangenen Jahr immer wieder Fälle von Missbrauch bekanntgeworden. (dapd)